Freitag, 26. Juni 2009

Gedanken eines Clowns

...Für das, was aus dem Menschen schließlich wird, bedeutet alles einzelne zunächst einmal nichts, und doch kann er von dem Augenblick an, wo die Seele in ihm erwacht, keinen Schritt tun, der ihm nicht unnachsichtig angerechnet würde. Für das, was wir an Unrechtem tun, büßen wir durch die furchtbarste Buße, die es gibt: durch das, was wir werden oder geworden sind. Aber - man mag sich das erklären, wie man will - es gibt für jeden von uns eine besondere Zeit der Entscheidung, wo wir entweder gerechtfertigt oder verworfen werden, und für jeden liegt sie an einem anderen Punkte des Lebens...

Was war denn meine ganze Nummer? Ich! Allerdings kein gewöhnliches Ich, wie ich glaubte annehmen zu dürfen, sondern eines, das den Anspruch erhob, für unzählige Gleichgeartete stellvertretend zu sein. Damit es dies aber könne, galt es, so viele andere Ich als nur möglich in sich hineinzuraffen, 'nichts Menschliches sich fremd zu fühlen', und das hieß: erleben, erleben, erleben!

Adam Kuckoff, Scherry, Leipzig, 1972, S. 122ff.

(Der Widerspruch zwischen Kunst und Wirklichkeit veranlaßt den Clown Scherry, die Bühne zu verlassen. - In seiner Erzählung beschreibt der Schauspieler, Regisseur und Dramaturg Adam Kuckoff den ernsten Hintergrund einer komischen Person in der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929/30. Zusammen mit Arvid Harnack, Harro Schulze-Boysen, John Sieg und anderen gehörte er zu den führenden Mitgliedern der Widerstandsorganisation "Rote Kapelle". Am 5. August 1943 wurde Adam Kuckoff von den Nazis in Plötzensee ermordet.)

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