Sonntag, 28. Juli 2013

J.M.Swerdlow: Ein Künstler kann das DENKEN der Menschen aufrütteln.

Am 16. März 1919 starb, nur 33 Jahre alt, Jakow Michailowitsch Swerdlow. Vierzehnmal wurde er verhaftet, und allein sechs Jahre verbrachte er in den schlimmsten, entlegensten Gegenden Sibiriens in zaristischer Verbannung. Trotz alledem verstand er es, in den seltenen Stunden der Erholung, alle durch seine unbändige Lebensfreude mitzureißen und zu ermutigen. Als liebevoller Vater bemühte er sich, Frau und Kindern das schwere Leben in der sibirischen Verbannung erträglich zu gestalten. Swerdlow war ein außergewöhnlich geradliniger und standhafter Mensch. Wiederholt beschäftigte er sich auch mit Fragen der Kunst. Am 15. Februar 1915 schrieb er einem jungen angehenden Bildhauer:

Die allgemeinen Fragen des menschlichen Zusammenlebens müssen bei einem modernen intelligenten Menschen, wenn er auch nur etwas Fingerspitzengefühl besitzt, in den Vordergrund treten. Etwas anderes ist die Lösung dieser Fragen. Hier wird die Sache äußerst kompliziert ... Man kann die Kunst, was ihre Aussage, ihre Idee betrifft, verständlich und zugänglich machen, dadurch wird sie jedoch noch nicht erreichbar. Erst dann werden sich die Massen wirklich mit der Kunst bekannt machen, wenn sie genügend freie Zeit haben und ihre materielle Lage sich wesentlich gebessert hat, wenn sie nicht durch die Not niedergedrückt werden und ihre Gedanken sich nicht ausschließlich um das Stück Brot bewegen. Heißt das, daß die Kunst vorläufig für die Verbesserung des menschlichen Lebens nutzlos ist? Nein, das heißt es keineswegs. Ein Künstler, der ein, feines Gefühl für die Erscheinungen des Lebens hat, den ein anderes, leuchtendes, lichtes und frohes Leben für alle vorausahnt, vermag vieles. Unter den Neugestaltern des Lebens können die Künstler einen Ehrenplatz einnehmen. Unter welchen Bedingungen? Sie können das Denken weiter Kreise aufrütteln, sie können das Streben nach einem besseren Leben wachrufen. Und zwar auf zweifache Weise. Indem sie 'das Leben in all seiner Nacktheit' zeigen, werden sie Unzufriedenheit mit diesem Leben hervorrufen und das Streben, es zu verändern. Das gleiche kann der Künstler erreichen, wenn er dem antagonistischen Leben von heute ein harmonisches Leben gegenüberstellt. Für einen feinsinnigen Künstler gibt es viele Wege. Wichtig ist nur, daß sein Schaffen ein bewußes Schaffen ist. Alle Gespräche über eine Kunst für die Kunst sind unsinnig. Jede Kunst als ein Erzeugnis von Menschen ist ein Spiegelbild dieser oder jener menschlichen Umwelt. Das muß man gut verstehen.“ 

J.M.Swerdlow, Erinnerungen. Berlin 1965, S.267f.