Am 16. März 1919 starb, nur 33 Jahre alt, Jakow Michailowitsch Swerdlow. Vierzehnmal wurde er verhaftet, und allein sechs Jahre verbrachte er in den schlimmsten, entlegensten Gegenden Sibiriens in zaristischer Verbannung. Trotz alledem verstand er es, in den seltenen Stunden der Erholung, alle durch seine unbändige Lebensfreude mitzureißen und zu ermutigen. Als liebevoller Vater bemühte er sich, Frau und Kindern das schwere Leben in der sibirischen Verbannung erträglich zu gestalten. Swerdlow war ein außergewöhnlich geradliniger und standhafter Mensch. Wiederholt
beschäftigte er sich auch mit Fragen der
Kunst. Am 15. Februar 1915 schrieb er
einem jungen angehenden Bildhauer:
„Die
allgemeinen Fragen des menschlichen Zusammenlebens müssen bei einem
modernen intelligenten Menschen, wenn er auch nur etwas
Fingerspitzengefühl besitzt, in den Vordergrund treten. Etwas
anderes ist die Lösung dieser Fragen. Hier wird die Sache äußerst
kompliziert ... Man kann die Kunst, was ihre Aussage, ihre Idee
betrifft, verständlich und zugänglich machen, dadurch wird sie
jedoch noch nicht erreichbar. Erst dann werden sich die Massen
wirklich mit der Kunst bekannt machen, wenn sie genügend freie Zeit
haben und ihre materielle Lage sich wesentlich gebessert hat, wenn
sie nicht durch die Not niedergedrückt werden und ihre Gedanken sich
nicht ausschließlich um das Stück Brot bewegen. Heißt das, daß
die Kunst vorläufig für die Verbesserung des menschlichen Lebens
nutzlos ist? Nein, das heißt es keineswegs. Ein Künstler, der ein,
feines Gefühl für die Erscheinungen des Lebens hat, den ein
anderes, leuchtendes, lichtes und frohes Leben für alle vorausahnt,
vermag vieles. Unter den Neugestaltern des Lebens können die
Künstler einen Ehrenplatz einnehmen. Unter welchen Bedingungen? Sie
können das Denken weiter Kreise aufrütteln, sie können das Streben
nach einem besseren Leben wachrufen. Und zwar auf zweifache Weise.
Indem sie 'das Leben in all seiner Nacktheit' zeigen, werden sie
Unzufriedenheit mit diesem Leben hervorrufen und das Streben, es zu
verändern. Das gleiche kann der Künstler erreichen, wenn er dem
antagonistischen Leben von heute ein harmonisches Leben
gegenüberstellt. Für einen feinsinnigen Künstler gibt es viele
Wege. Wichtig ist nur, daß sein Schaffen ein bewußes Schaffen ist.
Alle Gespräche über eine Kunst für die Kunst sind unsinnig. Jede
Kunst als ein Erzeugnis von Menschen ist ein Spiegelbild dieser oder
jener menschlichen Umwelt. Das muß man gut verstehen.“
J.M.Swerdlow, Erinnerungen. Berlin 1965, S.267f.
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