Montag, 11. Juli 2011

Der Fotograf Andrej Pawlytschew

Ja, das waren noch Zeiten, als die Fotografie darin bestand, ein "durch Licht erzeugtes Bild mit Hilfe einer Kamera auf einer lichtempfindlichen Schicht chemisch festzuhalten und sichtbar zu machen". Das waren Zeiten, als die lichtempfindliche Schicht noch aus einer Gelatine bestand, in der winzig kleine Silber-bromidkristalle gleichmäßig verteilt waren, welche dann in einem chemischen Prozeß auf einem speziellen Fotopapier verewigt wurden, um sie der Nachwelt zu überliefern. Eine Digitalkamera speichert heute mehrere Tausend Fotos auf einem winzigen Chip, was aber das einzelne Bild durchaus nicht wertlos macht. Im Gegenteil. Die Kunst der Fotografie besteht heute vor allem darin, das Wesentliche sichtbar zu machen, sei es in Farbe, Form oder Gestalt. Und das Bild zwingt den Betrachter, innezuhalten und darüber nachzudenken. Und wenn von Tausend Bildern eines nur gelungen ist, so sagt dieses eine eigentlich viel mehr aus, als man mit Worten ausdrücken kann.  
Andrej Pawlytschew ist ein solcher Fotograf, dem es gelingt, sehr bemerkenswerte Momente, amüsante Details und beinahe schon symbolische Konstellationen einzufangen. Fast verträumt beobachtet er den Schatten eines Geländers, eine verbogene Dachrinne oder zwei spielende Kinder, immer jedoch hat er einen fast pathetischen Blick für das Unwiederholbare, das Seltsame, das Schöne. Und das spiegelt sich auch in den Farben seiner Bilder wider, die nicht selten bis ins Bizarre überhöht sind.
Wenn Andrej Landschaften fotografiert, oder wenn Menschen auf seinen Bildern zu sehen sind, immer scheint der Fotograf den Moment für die Ewigkeit festhalten zu wollen.  Die Aufnahmen strahlen eine Ruhe aus, die fast schon wieder beunruhigend ist. Es sind Bilder von einer unbestimmten Sehnsucht, die alles andere als nostalgisch ist; Andrej ist Realist und er hat (ähnlich wie ein Clown) einen fotografischen Instinkt für das scheinbar Nebensächliche, was nun doch auch wieder so bedeutsam erscheint. Die Komik einer Situation werden wir im Bild jedoch vergeblich suchen.

Als 2010 in Tjumen das Festival "Сны Улиц" stattfand, wich Andrej uns kaum von der Seite. Durch den LCD-Monitor seiner Kamera beobachtete er jede Bewegung, jeden interessanten Ablauf des Geschehens. Vielleicht war der Inhalt der Inszenierung auch nicht immer von Bedeutung, Andrej jedenfalls hatte stets seine eigene Interpretation...
Man mag darüber nachdenken, ob hier die Geister über die Clownerie gesiegt haben, oder ob die weisende Hand wie selbstverständlich auf das Naheliegende deutet, was oft so schwer zu erkennen ist. Die gesichtslose Maske mit dem farblosen Gewand scheint beschützend den Arm um den Clown gelegt zu haben, sein erschreckter Gesichtsausdruck deutet aber auf etwas ganz anderes hin. Der Fotograf läßt hier die Frage offen...

Ein guter Clown ist ein Spiegel seiner Zeit...

Wenn man bei "facebook" oder in anderen Netzwerken nachschaut, wird man eine Unmenge eigenartiger Gestalten mit bunt geschminkten Gesichtern vorfinden, die sich als "Clowns" bezeichnen. Wir finden diesen Begriff in allen Sprachen der Welt:

Clown مهرج Payasos Клоун Pallasso Klaun Klovn دلقک Klaŭno Badut Pagliaccio ליצן Bohóc കോമാളി Palhaço Klovni Palyaço



Doch was ist das eigentlich: ein Clown?  

Die Geschichte verweist uns auf zahlreiche Beispiele künstlerischer Einmaligkeiten, auf Darbietungen und Charaktere von unwiderstehlicher Komik und Ausstrahlung, die vom Publikum belacht und schließlich sogar verehrt wurden. Unvergänglich sind Namen wie Grimaldi, Debureau, Chaplin, Karandasch, Grock, Nikulin, Marceau, Popow und Polunin. Nicht immer waren es die buntbemalten Gesichter und die vielfarbigen Kostüme, von denen die größte Wirkung ausging. Es waren vielmehr diejenigen Akteure mit einem tiefen Verständnis für die Schönheiten und die Tücken ihrer Zeit, in welcher sie lebten. Sie vermittelten den Zuschauern das Gefühl, verstanden worden zu sein, was diese sogleich mit einem vielstimmigen Lachen quittierten. Ein Clown ohne Publikum ist nicht vorstellbar, wohl aber eine Wiese ohne Blumen. In dem Buch "Clown und Zeit" schreibt N.M.Rumjanzewa:

...geniale Clowns, die einer ganzen Zuschauergenera­tion als Symbol für die Clownkunst dienen könnten, gab es immer nur wenige. Ein Clown bietet keine neuen Ideen an, entdeckt keine Wahrheiten, aber seine Worte, ja sogar seine unausgesprochenen Gedanken versteht jeder. Und jedem von uns ähnelt er... Bei ihm versteht man alles. Nur eines nicht: Worin liegt nun eigentlich das Geheimnis seines Erfolges? Worin liegt das Geheimnis seiner Figur? Denn so ein Geheimnis gibt es. Die Zuschauer machen sich darüber natürlich keine Gedanken. Sie kommen in den Zirkus, um zu lachen und zu staunen. Auch die Kunstwissenschaftler haben sich lange keine Gedanken darüber gemacht. Auf den ersten Blick mag es seltsam anmuten, daß es Aufzeichnungen über die Arbeit von Clowns erst seit etwa hundertfünfzig Jahren gibt, nachdem die stationären Zirkusse eröffnet wurden. Hat denn die Kunst der Clowns wirklich erst im vergangenen Jahrhundert ernsthaftes Interesse ausgelöst?

Gute Clowns sind doch überdurchschnittliche. Schauspieler und waren immer beliebt. Clowns und Spaßmacher werden in Berichten über wichtige historische Ereignisse unter­schiedlicher Epochen, in Chroniken und Memoiren erwähnt, und sie scheinen auch gar nicht eine so einfache Rolle gespielt zu haben, wie wir uns das heute bequemerweise vorstellen möchten, das heißt so, als hätten sie die Würdenträger und Herrscher nur unter­halten. Es sind Fälle bekannt, in denen sich Monarchen mit ihren Hofnarren berieten und auf deren Intuition, Geist und Aufrichtig­keit ohne weiteres vertrauten. Dazu zwei aufschlußreiche Anekdo­ten: Als der neunjährige französische König Ludwig XIII. den Thron bestieg, meinte Kardinal Richelieu, nun brauche der junge König noch einen neuen Hofnarren, da er sich sonst in den Staats­geschäften schlecht zurechtfinden würde. Und Ludwig IX. ver­schob den Kreuzzug nach Ägypten um mehrere Stunden, da sich sein Hofnarr verspätete. »Wenn sich mein Hofnarr verspätet, be­deutet dies, daß die Zeit zum Aufbruch noch nicht gekommen ist«, erklärte er.
 

Zufällige Fakten, Kuriositäten und Launen der Großen dieser Welt? Aber ähnliche Fakten wiederholten sich allzu oft, um nur Zufälle sein zu können. Übrigens erzählt eine weitere Legende, als Ludwig XIV., der Sonnenkönig, ausrief: »Der Staat bin ich«, hätte sein Hofnarr schallend losgelacht, sich am anderen Tage ein kleines Häuschen gezimmert, eine Papiersonne über den Kopf gehängt und habe dann das Häuschen mit Füßen getreten. Der Staat bin ich, also tue ich, was ich will so legte er die Worte des Königs aus. Ludwig verstand das, lachte und sagte: »Und mein trefflicher Hof­narr ist der Spiegel des Staates.« Damit hatte er eines fast richtig getroffen: 

Ein guter Clown ist ein komischer Spiegel seiner Zeit.

Buch: Natalia Rumjanzewa, Clown und Zeit, Henschelverlag, Berlin 1989, S.7-8.

..Настоящих клоунов ... которые могли бы служить символом искусства клоунады для целого поколения зрителей, всегда мало. Клоун не предлагает новых идей, не открывает истин, и каждое его слово, даже невысказыванная мысль совершенно понятны. И он так похож на каждого из нас... В нём всё понятно. Кроме одного: в чем всё-таки секрет его успеха? В чём тайна маски клоуна? Тайна эта есть. Об этом слишком долго не задумывались искусствоведы. И зрители об этом не задумываются. Они приходят в цирк, чтобы смеяться.

На первый взгляд кажется странным, что записи о работе клоунов, статьи в прессе, имеющие искусствобеческую ценность, появились всего лет сто пятьдесят назад, после открытия стационарных цирков. Неужели только я прошлом веке (зн. в ХIХ. веке, G.J.) искусство клоунов стало взывать серьёзный интерес? Но почему?.. Ведь хорошие клоуны это незаурядные актёры. И клоунов любили всегда. Упоминания о клоунах встречаются в рассказах о важнейших исторических событиях разных эпох, в хрониках, мемуарах. И, похоже, они играли не только для развлечения вельмож и государей. Известны случаи, когда монархи советовались со своими любимцами, вполне доверяя их интуиции, уму и искрености. Любопытный факт: при выступлении девятилетнего французского короля Людовика ХIII. на престол будущий кардинал Ришелье сказал, что надо, чтобы у молодого короля был новый шут, иначе он не будет плохо разбираться в государственных делах. А Людовик IX Святой отложил крестовых поход в Египет на несколько часов из-за опоздани шута. Он сказал, что, если опаздывается его шут, значит, ещё не время выступать.

Случайные факты, мелочи, шутки, наконец, капризы великих мира сего, не так ли? Но такие факты слишком часто повторялись, чтобы относиться к ним только как случайностям. Кстати, ещё одна легенда рассказывает, что, когда Людовик XIV, Король-Солнце, воскликнул: «Государство это я», его шут громко захохотал. На другой день смастерил маленький домик и бумажное солнце. Солнце он повесил у себя над головой, а домик стал поддавать ногами. «Государство это я» значит, что хочу, то я и делаю. Так трактовал он слово короля. Людовик понял, засмеялся и добавил: «А вот мой славный шут это зеркало государства». Клоун это комическое зеркало времени. Так точнее было бы сказать сегодня.

Н.М.Румянцева, Клоун и время, М. "Искусство" 1989, стр.1-2.