Montag, 24. Januar 2011

Die Kunst des plastischen Ausdrucks

Yvette Gilbert (1867-1944) war eine begnadete Sängerin des fin de siècle, der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Es war dies die Zeit einer sich in der westeuropäischen Kultur offenbarenden Verfalls-stimmung, eine Zeit des Tingeltangels, eine Zeit ulkiger, sentimentaler oder nationalistischer Gesänge. Davon unterschied sich die Gilbert sehr deutlich. In ihren Chansons sprach sie aus, was ihr an dieser Zeit als „häßlich, erbärmlich, tadelnswert, unmenschlich und lasterhaft“ erschien. Und sie begeisterte ein Millionenpublikum. Die "Spielregeln" dieser bemerkenswerten Künstlerin sind nicht neu, doch wir können immer wieder von ihr lernen.

1928 erschien von ihr der Essay über "Die Kunst, ein Chanson zu singen", in dem viel Weisheit und Bühnenerfahrung steckt. Darin schrieb sie:
Übertragen auf den Charakter des Clowns bedeutet das, daß es zwischen dem Clownskostüm und dem Typ, der Gestik und Mimik eine Übereinstimmung geben muß. Man kann nicht gegen die "Maske" spielen, ohne damit zugleich auch ihre Wirkung wieder zunichte zu machen.  Und über den Humor, den Sinn für das Komische schreibt sie:

Das ist es auch, wovon gerade die Clownerie lebt. Für Yvette Gilbert  ist  Komik  weit mehr als nur Grimassen zu schneiden oder mit den Augäpfeln zu rollen. Der Sinn für Komik wird gemessen an einem äußerlichen Kriterium, das seine Intensität und Nuancen zeigt: das Lachen!

"Für das 'Komische' braucht man Geist;
für das 'Tragische' Intelligenz und Bildung."
(Yvette Gilbert) 

entnommen aus: Yvette Gilbert, Die Kunst ein Chanson zu singen, Berlin 1981.

Mittwoch, 12. Januar 2011

Die kuriosen Wandlungen der Mode

Das Kostüm des Clowns war, wie auch die Mode vergangener Jahrhunderte, ständigen Veränderungen unterworfen.  Keineswegs bildeten die Accessoires immer nur "sinnvolle" Verschönerungen oder dienten gar einem bestimmten Zweck. Die Ästhetik der Mode verträgt sich also durchaus mit diversen kunstfertigen, wenn auch zuweilen recht unnützen "Zutaten", die als Blickfang  dienen, um das Erscheinungsbild insgesamt interessanter machen...

Französisch-burgundische Mode
1350-1480

Um die Mitte des 14.Jahrhunderts, mitten in den siegreichen Kämpfen Englands gegen Frankreich (Schlacht bei Crécy) begann in der Kleidung des westlichen Abendlandes, ausgehend von Frankreich, recht eigentlich „die Herrschaft der Schere". Damit war zugleich zum ersten Mal gegeben, was man als Tages- oder Zeitgeschmack bezeichnen kann, mit anderen Worten, die „Mode" im heutigen Sinne. Was sich bis dahin nur schüchtern vorgewagt hatte: das Betonen bestimmter Körperformen durch Zuspitzung oder Verbreiterung; die Gegensätze von Verkürzung, Verengung, Einschnürung einerseits, Erhöhung, Verlängerung, Erweiterung andererseits; zunehmende Entblößung gegen tiefere Verhüllung, das trat jetzt mit größter Entschiedenheit bewußt als neue Mode im Sinne der Stilisierung des Körpers durch das Kleid auf. Mit der neuen Sache kamen auch neue Bezeichnungen dafür in Geltung, z.B. houppelande, ein offener, weiter Überrock mit Ärmeln; die jupe, ein enges Leibchen zum Knöpfen mit kurzen Schößen, das ärmellose surcot oder die cotte hardie; die jacquette (deutsch: Schecke oder Hänslein), ein eng anliegender Knöpfrock mit Ärmeln, der kaum die Oberschenkel erreichte. Denn der bisher über den Kopf gezogene Rock mußte bei seiner Enge vorn aufgeschnitten und mit Knöpfen versehen werden, die hier zum ersten Male für die Tracht erhöhte Bedeutung bekommen. (Der geschlossene Langrock des Mittelalters blieb seitdem nur als Bauernkittel bestehen.) Hose und Strumpf wurden nur noch als durch gehende enganliegende Beinlinge oder Strumpfhosen in einem Stück getragen und damals über die Fußspitzen hinaus als „Schnabelschuhe" (poulaines = Schiffsschnäbel) übermäßig verlängert. Zum letzteren Gehen und zum Schonen der Fußbekleidung zog man spitze hölzerne Unterschuhe (Trippen) mit niedrigen Absätzen und Spannriemen an. Vor allem aber gewinnen die Formen der Kopfbedeckungen bei Mann und Frau große Bedeutung. Der Mann trägt die alte Kapuze des Mittelalters, die „Gugel", mit allerlei modischen Veränderungen. De übliche ältere Trageweise ist so, daß die Kragenkapuze über Kopf und Schultern gezogen (auch vom geknöpft) wurde und der im Laufe der Zeit immer länger werdende Zipfel als langes Ende („Schwanz") auf den Rücken herabhängt. Die Frau trägt die gabelförmige Wulst- oder Hörner-Haube (Hennin) mit Schleier oder breiter Hängeborte, dem türkischen turtur nachgebildet.

Quellenangabe:
Bruhn-Skarbina, Kostüm und Mode, Leipzig 1938, S.18.

Freitag, 7. Januar 2011

Handlungsgründe – Причины действия


Р.Славский писал:
Настоящий мим, где бы он ни был на улице, в трамвае, дома, в кино, чем бы ни занимался обязан все видеть и все, как говорится, "наматывать на ус". Жизнь богата впечатленниями, умей только вглядываться. Вот что писал Станиславский, и это имеет прямое отношение. к творчеству миму, хотя он не пользуется звучащим словом. "...Каждое наше движение на сцене, каждое слово должно быть результатом верной жизни воображения." Если вы сказали слово или проделали что-либо на сцене механически, не зная, кто вы, откуда пришли, зачем, что вам нужно, куда пойдёте отсюда и что там будете делать, - вы действовали как заведенная машина, как автомат.

R. Slawski schrieb:
Ein richtiger Mime ist verpflichtet, wo auch immer er ist auf der Straße, in der Straßenbahn, zu Hause, im Kino alles was er sieht, wie man sagt, in sich aufzunehmen. Das Leben ist reich an Eindrücken, der Verstand muß sie nur aufgreifen. Hier ist, was Stanislawski schrieb, und es hat eine direkte Beziehung zum Schaffen des Mimen, obwohl er das Wort nicht benutzt. "... Jede unserer Bewegungen auf der Bühne, jedes Wort soll in der Vorstellung ein Ergebnis des richtigen Lebens sein." Wenn Sie auf der Bühne etwas gesagt haben oder sie haben etwas mechanisch ausgeführt und wissen nicht, wer Sie sind, woher und warum Sie gekommen sind, was Sie wollen, wohin sie gehen und was Sie dort machen werden, dann handeln Sie wie eine Maschine, wie ein Automat.

Quelle:
R.Slawski, Die Kunst der Pantomime, Moskau 1962, S. 16/17, ru.
Фото: Масель Марсо, "Маятель масок" /  Foto: Marcel Marceau, "Maskenmacher".

Dienstag, 4. Januar 2011

Giorgio Strehler – Brecht hat mir ein Fenster zur Welt geöffnet!

In einem Interview über seine Theaterarbeit mit Brecht wurde Giorgio Strehler einmal gefragt, was das Interessanteste an Brechts Stück "Tage der Commune" sei. Worauf Strehler antwortete:

"Mich interessiert folgender Aspekt: Das Volk wird duch seine Güte und Freundlichkeit leicht zum Spielball der Mächtigen. Die einfachen Leute sind zu harmlos, um zu verstehen, daß die anderen immer 'mitspielen'. Das ist eine große Lehre für uns in unserer heutigen Situation. Wie ist es möglich, die Frage der Macht richtig zu beantworten und trotzdem die Menschlichkeit nicht zu verlieren? Dieses große Thema beschäftigt mich an den 'Tagen der Commune' besonders. Außerdem geht es mir natürlich darum, historisches Wissen und Geschichtsbewußtsein zu fördern."

Sie haben einmal hervorgehoben, Giorgio Strehler, letztlich bestehe der Sinn aller Theaterarbeit darin, die Welt zu verändern. Zu diesem Ziel müssen die Theaterleute mit dem Publikum zusammenarbeiten. Könnte man diesen Grundsatz als Ihr künstlerisches Credo nehmen?

"Natürlich. Wir versuchen immer, uns und das Publikum zu verändern. Um ein neues Theater zu machen, bedienen wir uns der dialektischen Methode. Und mit diesem neuen Theater wollen wir helfen, eine neue Gesellschaft zu erreichen. Brecht ist für mich ein wirklicher Lehrer. Ich habe von ihm nicht nur künstlerische Techniken und Methoden übernommen. Er hat mir eine Weltanschauung gegeben! Durch ihn habe ich die Bedeutung der Kunst in der Gesellschaft verstanden. Brecht hat mir ein Fenster in die Welt geöffnet."

(Februar 1968/ August 1975)

Aus: Dieter Kranz, Positionen, Gespräche mit Regisseuren des europäischen Theaters, Henschelverlag Kunst und gesellschaft, DDR-Berlin, 1981, S.24.

Kommentar: Nun muß man natürlich feststellen, daß sich die Gesellschaft, von der Strehler hier spricht, seitdem gewaltig verändert hat. Verändert zum Nachteil der Mehrheit. Doch immerhin: Brecht verstand es, mit seinem Theater, nicht nur die Zuschaukunst zu entwickeln, sondern er veränderte auch die Kunst der Regieführung. Eben dazu braucht man eine Weltanschauung möglichst eine dialektisch-materialistische, also eine wissenschaftliche. Das hat Giorgio Strehler erkannt. Anders wird auch der Zuschauer nicht verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält (Goethe). Und eine Veränderung der Gesellschaft ist nur dann von Erfolg, wenn das Publikum deren innerste Zusammenhänge und Gesetze durchschaut, wenn es eingreift in den historischen Prozeß, und wenn es ebendiese Gesetze anzuwenden imstande ist...

Sonntag, 2. Januar 2011

Bewegungsformen


In Ihrem Buch "Sprechende Bewegungen" beschreibt die langjährige Dozentin und Tanzwissenschaftlerin an der Theaterhochschule Leipzig in der DDR, Ilse Loesch (1909-2006) , die Wirkung des Schauspielers auf sein Publikum. Sie ist wie auch Brecht das schon ausführlich charakterisierte auf die Art und Weise zurückzuführen, in der der Schauspieler die Gedanken und Absichten des Autors und des Regisseurs zur Wirkung bringt. Ihr Buch gilt auch heute noch als Standardwerk für die Schauspielerausbildung.

Der schauspielerische Gestus...

"Für die Bühne ist die körperliche Bereitschaft des Schauspielers eine der wesentlichen Grundlagen ihrer künstlerischen Wirkung. Der Schauspieler besitzt nur zwei Mittel, um sich auszudrücken: die Sprache und die Bewegung seines Körpers. Zur körperlichen Bereitschaft gehört auch die Fähigkeit, eine ihm zunächst fremde Individualität anzunehmen. Für den Regisseur bedeutet das, daß er sich deren charakteristische Bewegungsweise vorstellen und sie dem Interpreten nahebringen kann. Dazu muß er mit den Grundlagen des Bewegungsstudiums aus eigener Erfahrung vertraut sein, ohne unbedingt die Beherrschung erreichen zu müssen, die der Schauspieler braucht."

Menschliches Verhalten zeitentsprechend inszeniert

"Bei der Inszenierung von Stücken aus unserer Gegenwart kann man erwarten, daß eine Fülle von Beobachtungen und Erfahrungen aus dem Alltagsleben der Beteiligten zusammengetragen und fruchtbar werden. Über ein Milieu aus einer anderen Zeit, einer anderen Gesellschaftsschicht, einem anderen Land muß man sich Kenntnisse und Eindrücke erst verschaffen. Je weiter die Zeit zurückliegt, desto weniger können wir mit so lebensnahen Dokumenten wie Fotos und Filmen rechnen und sind dann auf Berichte und Lehrbücher, Bildwerke und Musiken, Erzählungen und Dichtungen, Baudenkmäler und andere Zeugnisse angewiesen. Selten geben Stückautoren genaue Anhaltspunkte für solche Verhaltensweisen, die in ihrer Zeit so gewohnt sind, daß Erklärungen überflüssig wären. Gewiß, konventionelle Verhaltensweisen halten sich sehr lange, oft länger, als man ihren Sinn noch versteht. Aber Schritt für Schritt passen sie sich doch veränderten Lebensverhältnissen an oder verschwinden. Beim Theaterspielen tritt aber oft das Umgekehrte ein: Weil man die in der Zeit des Stückes üblichen Umgangsformen nicht kennt oder nicht wichtig nimmt, benutzt man heutige oder einfach vorgestrige, die — zur Bühnenkonvention geworden — für historisches Milieu immer zu passen scheinen. Nur hat das mit realistischer Gestaltung nichts zu tun. Wenn es auch nicht um museale Genauigkeit gehen darf, so bieten doch erst Kenntnis und Anwendung zeitentsprechender Verhaltensformen dem Regisseur wie dem Schauspieler Möglichkeiten einer dem künstlerischen und damit gesellschaftlichen Anliegen entsprechenden Interpretation und Darstellung. Sie können sich aufgrund dieser Kenntnisse die Lebensweise der Menschen in der betreffenden Zeit lebhafter vorstellen, können bestimmte Züge einer Figur oder der Beziehung von Partnern zueinander durch typische Verhaltensweisen besonders herausheben, sie dem heutigen Zuschauer als fremd, überlebt oder noch immer gut bekannt zeigen.

Die Kunst der Nachahmung

"Manche Formen der Haltung, der Bewegungsweise und speziell der Gestik helfen dem Schauspieler — wenn er sie zur Vorbereitung auf die Arbeit an der Rolle nachahmt — auch dabei, sich in das Leben der Spielperson hineinzuversetzen. Je besser Schauspieler und Regisseur in diesen Formen bewandert sind, je mehr sie davon wissen, gesehen und ausprobiert haben, desto treffender können sie sie zur Formung des gesamten Verhaltens verwenden."

Quelle:
Ilse Loesch, Sprechende Bewegung, Henschelverlag Berlin, 1974, S.20.