Dienstag, 30. Juni 2009

Fenster der Hoffnung

Warum, sagen Sie selber, sollte man einem Dichter seine Hoffnungen nicht glauben, wenn sie nicht sein Leben, sondern das Leben der Menschheit betreffen? Weil ein einzelner Mensch die Hoffnung der ganzen Menschheit nicht fassen kann? Oder etwa, weil ein einzelner Dichter gar nicht wissen kann, was diese Menschheit seit Anbeginn hofft? Aber ein Philosoph oder ein Politiker könnte das, ja? Unsinn! Es ist ja nur von Hoffnungen die Rede. Was sind denn Hoffnungen? Hoffnungen gibt es nur auf Kommendes, niemals auf etwas, das schon war. Jeder hofft auf Liebe, Gerechtigkeit, Frieden und damit auf ein schönes langes Leben. Wenigstens für sich. Das ist von der Natur aus so, sobald man zu leben anfängt. Also trägt jeder Mensch die Hoffnungen der ganzen Menschheit in sich, rein genetisch. Unser Lebenswille ist das, denn wir sind Wesen der Natur. Gemeinschaftswesen, die einzeln und außerhalb ihrer Art nicht existieren können. Deshalb hoffen die meisten Menschen nicht nur für sich, sondern für viele ...

Heinz Kahlau - in: Majakowski - Ich will meinen Stern, Majestät, Berlin, 1987. - Foto (Ausschn.): A.+A.Thorndike, Das russische Wunder, S.192.

Sonntag, 28. Juni 2009

Soll das Theater die heutige Welt darstellen?

Man gewinnt heute leicht den Eindruck, Theater sei lediglich eine Form des mehr oder minder geistreichen Zeitvertreibs für die sich amüsierende Klasse. Was seinerzeit   insbesondere mit Brecht dieses lebendige Gemeinschaftserlebnis, welches durch keine andere Kunst zu ersetzen ist, beflügelte, war die politisch-moralische Übereinstimmung von Publikum und Theater, wie wir sie mit der sozialistisch-realistischen Gegenwartskunst der DDR kennengelernt haben. Dort entfaltete das Theater seine höchste geistige Produktivität und erwies sich als unersetzbare Anregung für den gesellschaftlichen Fortschritt. Gerade dem widmete sich wenn auch zuweilen in recht verklausulierter Form der Dramatiker Peter Hacks. "Inhalte", schrieb er, "sind wichtig in dem Grad, in dem sie wichtige Haltungen ermöglichen". Und Haltungen sind gerade das, worüber das Theater heute am wenigsten räsoniert. Theater bleibt blaß und ist allenfalls vergnüglich, bestenfalls vielleicht satirisch wobei letzteres wohl eher auf das Kabarett zutrifft...

Wenn es wahr ist, daß die Kunst eine Form des Verkehrs von Menschen untereinander ist, so will das Drama nicht auf Informationen über die Welt, sondern auf Informationen über die HALTUNG des Autors zur Welt hinaus. Haltungen kann man nicht erläutern; Haltungen nimmt man ein.

 

Einem peinlichen Mißverständnis unterliegen Schriftsteller, die hoffen, irgendwen interessierten ihre vorgetragenen Ansichten. Nichts interessiert außer der Art, in welcher der Autor die Wirklichkeit praktisch bewältigt. Des Autors Praxis ist die Darstellung der Wirklichkeit. Somit folgt aus der Voraussetzung, daß Darstellung der Welt nicht Zweck des Dramas sei, der Schluß, daß das Drama notwendig die Welt darstellen müsse.

Die Überlegung scheint auf den Standpunkt, den sie verlassen will, zurückgekehrt; in Wahrheit ist sie schon über ihn hinaus. Denn die Unterscheidung, daß Darstellung der Welt nicht Zweck des Dramas, sondern ein unentbehrliches Mittel ist, ist keine Spitzfindigkeit. Sie führt zu Konsequenzen von enormer praktischer Bedeutung. Nämlich so sicher der Dramatiker verpflichtet ist, die Welt darzustellen, so sicher ist, daß nichts ihn verpflichtet, die gesamte Welt darzustellen.

Inhalte sind wichtig in dem Grad, in dem sie wichtige Haltungen ermöglichen. Ihre Auswahl erfolgt nach künstlerischen Gesichtspunkten, nicht nach anderen.
Was für ein Leben eine Hauptsache ist, kann für die Kunst gar keine Sache sein. Welcher Grund wäre seit siebzig Jahren erkennenswerter als die Struktur einer kapitalistischen Krise? Und doch ist dieselbe für die Kunst müßig und wenig ergiebig...

Peter Hacks, Die Maßgaben der Kunst, Berlin 1978, S. 95.

Freitag, 26. Juni 2009

Gedanken eines Clowns

...Für das, was aus dem Menschen schließlich wird, bedeutet alles einzelne zunächst einmal nichts, und doch kann er von dem Augenblick an, wo die Seele in ihm erwacht, keinen Schritt tun, der ihm nicht unnachsichtig angerechnet würde. Für das, was wir an Unrechtem tun, büßen wir durch die furchtbarste Buße, die es gibt: durch das, was wir werden oder geworden sind. Aber - man mag sich das erklären, wie man will - es gibt für jeden von uns eine besondere Zeit der Entscheidung, wo wir entweder gerechtfertigt oder verworfen werden, und für jeden liegt sie an einem anderen Punkte des Lebens...

Was war denn meine ganze Nummer? Ich! Allerdings kein gewöhnliches Ich, wie ich glaubte annehmen zu dürfen, sondern eines, das den Anspruch erhob, für unzählige Gleichgeartete stellvertretend zu sein. Damit es dies aber könne, galt es, so viele andere Ich als nur möglich in sich hineinzuraffen, 'nichts Menschliches sich fremd zu fühlen', und das hieß: erleben, erleben, erleben!

Adam Kuckoff, Scherry, Leipzig, 1972, S. 122ff.

(Der Widerspruch zwischen Kunst und Wirklichkeit veranlaßt den Clown Scherry, die Bühne zu verlassen. - In seiner Erzählung beschreibt der Schauspieler, Regisseur und Dramaturg Adam Kuckoff den ernsten Hintergrund einer komischen Person in der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929/30. Zusammen mit Arvid Harnack, Harro Schulze-Boysen, John Sieg und anderen gehörte er zu den führenden Mitgliedern der Widerstandsorganisation "Rote Kapelle". Am 5. August 1943 wurde Adam Kuckoff von den Nazis in Plötzensee ermordet.)

Donnerstag, 25. Juni 2009

Kunst und Kreativität

Die bildende Kunst ist eine spezifische Art und Weise der Widerspiegelung unserer Wirklichkeit. Sie vermittelt ein sehr subjektives Abbild dessen, was dem Künstler für wichtig und bemerkenswert erscheint. Seien es nun Personen oder Gegenstände, seien es Vorgänge oder Zustände, die im jeweiligen Kunstwerk abgebildet sind - die Wirklichkeit ist vielfältig. Und sie ist widersprüchlich genug - das fordert Kreativität geradezu heraus.

Wer nun aber erwartet, daß Kunst im weitesten Sinne dazu beiträgt, unsere verworrenen Lebensverhältnisse aufzuhellen, der sieht sich getäuscht. Denn das gelingt in weitaus geringerem Maße, als es vielmehr von ebenjener Wirklichkeit ablenkt. Und so rätselt der neugierige Betrachter nun vergeblich darüber, was der Künstler ihm mit seinem Werk sagen wollte.
Die Antwort darauf werden ihm beide wohl für immer schuldig bleiben.

Die etablierte Kunstrezeption beruht im Grunde genommen auf einer einzigen Heuchelei. Sie wird letztlich bestimmt durch die Interessen der einflußreichsten und finanzkräftigen Kreise in unserer Gesellschaft, die da bestrebt sind, ihre ehrgeizigen (und egoistischen) Ziele durchzusetzen. Sie führen ihren Kampf um die Beeinflussung der Gedanken, Gefühle und Gewohnheiten der Menschen. Und das geschieht über unzählige Kanäle und nimmt manchmal kaum wahrnehmbare Formen an. Schule, Kirche, Kunst und Medien, Theater, Kino und die verschiedensten Organisationen wirken darauf hin, die vorherrschende Weltanschauung, Moral und Lebensweise im Bewußtsein der Menschen ein für allemal festzunageln.

Nie gab es soviel Kunst für so wenig Geld! Es herrscht Überproduktion in allen Bereichen. Ein wenig bekannter Regisseur äußerte einmal über gewisse amerikanische Filme: Sie stellen eine Art Rauschgift für die Leute dar, die dermaßen ermüdet sind, daß sie nichts weiter wünschen, als in einem weichen Sessel zu sitzen und mit einem Löffel gefüttert zu werden. - Ich meine, damit ist auch das Wesen unserer heutigen Kunst hinreichend charakterisiert. (G.J.)

Sonntag, 21. Juni 2009

Kladderadatsch !

Anzeige. Böswillige Concurrenten haben seit einigen Tagen das Gerücht zu verbreiten gesucht, ich wolle deutscher Kaiser werden, und beabsichtige ich demnächst mein Geschäft aufzugeben. Wer mich näher kennt, wird wissen, woran er ist. Fremden und Auswärtigen aber empfehle ich nach wie vor mein reichhaltiges Lager von Nachtmützen und Unterbeinkleidern.
Levy Heymann, Schloßplatz.


Bayrischer Minister: "Was wollen Sie vortragen, Herr Rat?"
Rat: "Was Ihnen beliebt, Exzellenz..." - Minister: "Dann nehmen Sie die soziale Frage, da habe ich neulich so gut danach geschlafen."

In einer deutschen Zeitung erschien vor kurzem ein Aufruf eines Komittees zur Gründung eines Festangestellten-Vereins unter dem Titel "Bureauangestellte! Wacht auf!" (Panoptikum, März-Nummer, 1928, S.11)

Was sagt eine Beamtenfrau, wenn ihr Gatte abends mit einer blauen Wange nach Hause kommt? - "Na, mal wieder auf dem Stempelkissen eingeschlafen?"

Wer waren die ersten drei Politiker? - Die Heiligen Drei Könige!
Sie legten die Arbeit nieder, zogen schöne Gewänder an und gingen auf Reisen.

Mittwoch, 17. Juni 2009

Zielstrebigkeit

Geh deinen Weg und laß die Leute reden!

Gegenüber den Vorurteilen der sog. öffentlichen Meinung, der ich nie Konzessionen gemacht habe, gilt mir nach wie vor der Wahlspruch des großen Florentiners:

Segui il tuo corso, e lascia dir le genti!

(Karl Marx, MEW, 1983, Bd.23, S.17)


Und im Original:

Da sprach Virgil: "Was zieht dich also an,
Daß du den Gang zum Gipfel aufgeschoben?
Und jenes Flüstern, was hat dir's gethan?

Was man auch spreche, folge mir nach oben!
Steh' wie ein fester Thurm des stolzes Haupt
Nie wankend ragt, wenn auch die Winde toben

Das Ziel entweicht, dem man sich nah geglaubt,
wenn sich Gedanken und Gedanken jagen
Und einer stets die Kraft dem andern raubt."

(Dante, Göttliche Komödie, Fegefeuer, 5. Gesang, 10-18, Lpz. 1876, S.224)

« Vien dietro a me, e lascia dir le genti. »
« Viens derrière moi, et laisse dire les gens. »

Dante, Purgatoire, chant V, 13.
Dimanche de Pâques, 10 avril 1300.

« Segui il tuo corso, e lascia dir le genti ! »
« Poursuis ton chemin, et laisse dire les gens ! »

Karl Marx, Préface de la première édition du Capital,
25 juillet 1867.

Montag, 15. Juni 2009

Der Clown Johann Posiadlo

Hans Voelkner schreibt:
...Vater war Zirkusartist. Von jener Sorte, die man heute nur noch äußerst selten findet. Er hatte die ganze Welt gesehen und sich in fast allen Genres der Artistik versucht. Seitdem er mit Käthe Voelkner, meiner Mutter, zusammenlebte, arbeitete er als Akrobat, Äquilibrist und Steptänzer. Im Repertoire war auch eine komische Einlage. Eine Humsdibumsdi-Nummer nannte Vater das.

Er war ein überdurchschnittlicher Artist, und der Name Oldais, unter dem wir auftraten, war bekannt. Vater war stolz darauf, einer der wenigen zu sein, die den Rondat-Flick-Flack-doppelt-Salto beherrschten, ein Sprung, der den Sportfreunden von den Bodenturn-Wettkämpfen her bekannt ist, damals jedoch zu den Seltenheiten gehörte.

Er liebte die vollendete Arbeit, war aber jähzornig und konnte Wutanfälle bekommen, wenn die Übungen nicht so klappten, wie er es wollte und für notwendig hielt. Ehe er einmal eine Probe ausfallen ließ, mußte er wirklich sehr krank sein. Beim Training war er unerbittlich. Mein Bruder und ich, die von klein auf zu Artisten erzogen wurden, folgten ihm jedoch, da er der erste war, der sich dieser Härte unterwarf. (S.8)

Und - geht es denn vorrangig um die Vergangenheit? Die Vergangenheit hat doch nur wirklich Bedeutung, soweit sie uns hilft, die Zukunft zu begreifen und zu meistern. War das nicht auch die Lehre, die mir Mutter in jener Dezembernacht des Jahres 1942 mitteilen wollte: Die Zukunft muß unser sein! (S.227)


Der Clown und Artist Johann Posiadlo war Kommunist und Mitglied der "Roten Kapelle". Er wurde 1943 von der SS in einem Pariser Café verhaftet, ins "Reich" verschleppt und wenig später in Plötzensee ermordet. (Quelle: Hans Voelkner, Salto mortale, Berlin 1989)

Samstag, 13. Juni 2009

Alla Pugatschowa - Arlecchino (1976)

Die Legende vom unglücklichen Clown:

Смешить вас мне с годами все трудней
Ведь я не шут у трона короля
Я Гамлета в безумии страстей
Который год играю для себя
Все кажется вот маску я сниму
И этот мир изменится со мной
Но слез моих не видно никому
Ну что ж, Арлекин я, видно, неплохой!

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Allmählich amüsier ich euch kaum noch.
Bin ja kein Narr an eines Königs Thron.
Den Hamlet, leidenschaftlich noch und noch,
spiel ich seit Jahren für mich selbst nun schon...

Stets sah's so aus, nähm ich die Maske ab,
daß sich die Welt mit mir zu ändern schien.
Doch meine Tränen ich verborgen hab -
Ich bin wohl doch kein schlechter Harlekin!

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Text: Boris Barkas --- Nachdichtung: Hans-Joachim Grimm

Übrigens: Der Clown ist glücklich, geliebt, bekommt Auszeichnungen, und was persönliche Unannehmlichkeiten angeht, so hat er davon nicht mehr als andere Leute. Dieser Schlager hat damals die Sängerin Alla Pugatschowa im Handumdrehen bekannt gemacht.