Dienstag, 6. Oktober 2009

...antiautoritär?

In seinem Vorwort zu dem von A.S.Neill verfaßten Erziehungsschmöker über die sogenannte antiautoritäre Erziehung schreibt Erich Fromm: "Unser Wirtschaftssystem braucht Menschen, die seinen Geboten gehorchen, Menschen, die widerspruchslos mitmachen, Menschen, die immer mehr konsumieren wollen. Es muß sich Menschen schaffen, deren Geschmack genormt ist, die sich leicht beeinflussen lassen, deren Bedürfnisse im voraus berechnet werden können. Unser System braucht Menschen, die glauben, sie seien frei und unabhängig, aber alles tun, was man von ihnen erwartet, Menschen, die sich der Gesellschaftsmaschinerie reibungslos einfügen..."* Und daher bedient sich man sich eines Tricks. Man sagt: "Nicht wahr, das möchtest du doch bestimmt auch gerne tun?", was allemal netter erscheint, als dem Unterworfenen gegenüber zu offenen Zwangsmaßnahmen greifen zu müssen.

Daß dieser "Kunstgriff" auf einem Betrug beruht, gibt Fromm sogar zu: "Der Mensch unserer Zeit muß also, wenn er sich anpassen will, die Illusion nähren, alles geschehe mit seiner Einwilligung, obwohl diese in Wirklichkeit durch geschickte Manipulation erzwungen wird. Man erhält seine Einwilligung sozusagen hinter seinem Rücken oder hinter seinem Bewußtsein."*

Was dann allerdings von diesem "Pädagogen" Neill bis Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts angeboten und praktiziert wurde, war alles andere als Erziehung - wie hätte es das auch sein können? -, es war eine unsinnige, verlogene und scheinanarchistische Modeerscheinung, das Ergebnis einer jahrzehntelangen Werbekampagne dieses "glänzenden Publizisten" (wie A.Kühn ihn nennt) - es war die Irreführung ganzer Generationen junger Menschen im Sinne seiner "Reformpädagogik" zum Zwecke ihrer Unterordnung unter die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.

Neill hat seine "Erfahrungen" aus seiner "Musterschule" in Summerhill, die von Kindern zahlungskräftiger Eltern besucht wurde, in zahlreichen Publikationen und auf Vortragsreisen propagiert. Er besaß sogar noch die Frechheit, darüber zu schreiben: "Wir hatten mehrere Jungen und Mädchen, die mit 14 noch nicht lesen konnten. Ich weiß nicht, was daran schuld war" (Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. Reinbek bei Hamburg, 1971, S.56). Die Nachwirkungen dieser Theorie sind heute noch spürbar.

Untersucht man indessen die ökonomischen und die sozialen Strukturen unserer Gesellschaft, so finden wir immer wieder die Tendenz zu gemeinsamen Aktionen oft auch sehr unterschiedlicher Menschen (die allerdings aus deren gemeinsamem Interesse entspringt). Eine solche Organisation ohne Autorität ist schlechterdings unmöglich.
(G.J.)

* beide Zitate: A.S.Neill, Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung, Reinbek bei Hamburg, 1969, Vorwort, S.11.

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