In den letzten Monaten seines Lebens - inmitten der Arbeit an der Dialektik auf dem Theater - verblüffte uns Brecht mit der Erklärung, der Schlüssel zu seinen Arbeiten sei Naivität. Das ganze Unternehmen seines Theaters sei naiv. Es erzähle mit einer Aufführung zunächst nichts weiter als eine bemerkenswerte Geschichte, eben die FABEL. Und er versuche - bei jeder neuen Inszenierung gleichsam von Null anfangend - Spielweise, Bühnenbau, überhaupt die ganze Ästhetik eben für diese bestimmte Fabel zu finden. Gehen die meisten Theater von der Philosophie, von Stil, von Aussagen aus - was eben unnaiv ist -, springe das bei uns sozusagen mit ab, wenn wir zum Vergnügen unserer Zuschauer unsere bemerkenswerte Geschichte erzählen. Auch wie wir die Geschichte erzählen, sei naiv. Wir versuchten nicht, durch unglaubliche Raffinesse dem Publikum zu suggerieren, es wohne den Ereignissen selbst bei, so daß es über der Erzählung den Erzähler vergesse. Wie ein Witzerzähler, der sich selbst kräftig bemerkbar macht, gingen wir mit dem Publikum die naive Abmachung ein, daß wir es sind, die eine bestimmte Geschichte einstudiert haben, die wir nun vortragen, ohne dabei mit unserer eigenen Meinung hinter dem Berg zu halten. Wenn es den Vortrag unterstützen sollte, werden wir ihn sogar unterbrechen, um - wie ein guter Erzähler - etwas zu erklären...
Wahrscheinlich habe er bei der wissenschaftlichen Beschreibung seiner Arbeitsweise - einer Wissenschaft des Spaßes - zu viel Spaß an der Wissenschaft gehabt. Es sie nunmehr an der Zeit, den Spaß selbst zu beschreiben.
Manfred Wekwerth, Notate - Über die Arbeit des Berliner Ensembles 1956 bis 1966, edition suhrkamp 1967, S. 15f.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen