Donnerstag, 30. Juli 2009

Der Denkzettel

von Maxim Gorki

An einem Sonntagabend stand er, die Brust fest an das hölzerne Geländer gepreßt, auf der Galerie des Zirkus und sah bleich vor angespannter Aufmerksamkeit mit verzückten Blicken in die Arena, wo ein grellgekleideter Clown, der Liebling des Publikums, Purzelbäume schlug.
Der schlangenartig gelenkige Körper des Clowns, der in üppige Falten von rosa und gelbem Atlas gehüllt war, flimmerte in den verschiedensten Stellungen auf dem dunklen Hintergrund der Arena; seine Bewegungen waren bald leicht und anmutig, bald häßlich oder komisch; er hüpfte wie ein Ball in die Luft, schoß gewandt einen Purzelbaum, fiel auf den Sand nieder und rollte schnell dahin. Dann sprang der Clown wieder auf die Füße, stand kühn und selbstbewußt da, sah munter ins Publikum und erwartete seinen Beifall.

"Das ist er ... der Clown!" sagte der Mann mit dem Bart und fügte mit breitem Lächeln hinzu: "Ganz genau erkenne ich ihn ... obgleich er jetzt richtig angezogen ist..."
Der Knabe hörte diese Worte und sah den Mann mit der Zigarre, der inmitten der Arena stand und den Leuten in den roten Livreen, die dort beschäftigt waren, Anweisungen gab, scharf an. Das sollte der glänzende, gewandte Clown sein? Enttäuscht schüttelte der Junge den Kopf. Es mißfiel ihm, daß ein so wunderbarer Mensch sich wie ein gewöhnlicher Modeherr kleidete. Wenn er, Mischka, ein Clown wäre, würde er in dem grellen weiten Atlaskostüm mit Goldbesatz und mit der hohen weißen Mütze auf die Straße gehen. Und entschieden unzufrieden mit dieser unliebsamen Verwandlung des Artisten in einen ganz gewöhnlichen Menschen verließ Mischka den Zirkus.

Maxim Gorki, Die Kinder aus Parma, Berlin - DDR 1976, S. 31 ff.

Dienstag, 21. Juli 2009

Aus Protest Klavierkonzert unterbrochen

Polish pianist Krystian Zimerman shocked the audience of LA Walt Disney Concert Hall on Sunday when he stopped mid-show saying that he would no longer perform in a country whose military wants to take over the world.

According to the report on the Los Angeles Times website, Krystian Zimerman was about to play the final piece of the evening – Polish composer Karol Szymanowski’s ‘Variations on a Polish Folk Theme’ – when he suddenly stopped playing and came out with a politicized speech accusing the US of attempting to press the rest of the world with their military policy.

The piano virtuoso made the remark near the end of his performance in LA, which was closing his latest US tour. He proclaimed that he is completely dissatisfied with the US military policy towards his native country and that he does not want to come back to the United States anymore.

“Get your hands off my country,” Mr. Zimerman said, cites the website, referring to the US plans to place an ABM shield in Poland.

After the statement several dozen concertgoers left the hall disappointed and disapproving of the artist’s actions.

“Yes, some people when they hear the word military start marching,” the pianist commented on some of the audience leaving the hall early. He then continued his performance.

He made a similar threat in 2006, stating he would not return until George W. Bush was out of office.

The Associated Press, however, says, referring to the pianist’s manager Mary Pat Buerkle, that his disenchantment with the country goes beyond that.

“I think that there are many contributing factors to that decision, and I don't think it's appropriate to say it's all political,” Buerkle claims.

In recent years Mr. Zimerman had to cancel his performance in the US as the security at New York's John F. Kennedy International Airport destroyed his Steinway grand piano. The instrument became the victim of extra security measures, because the glue used to make the piano was similar to a substance used in some explosives.

Zimerman, 52, is a Polish classical pianist, widely regarded as one of the finest in the world and has been described by allmusic.com as “one of the most sensitive and controversial concert pianists to emerge in the latter half of the 20th century.”

RIA nowosti (28/04/2009)

http://www.rian.ru/world/20090428/169445967.html

Los Angeles (RIAnowosti). Aus Protest gegen die US-Pläne zur Stationierung von Teilen des ABM-Systems in Polen hat der bekannte polnische Klaviervirtuose Christian Zimerman sein Konzert in Los Angeles unterbrochen, schreibt die Zeitung "Los Angeles Times". Der Pianist hatte in der vergangenen Woche mit dem eigenen Steinway-Flügel die USA im Rahmen einer Welttournee besucht. Während seines Konzertes am Sonntagabend in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles unterbrach der Pianist urplötzlich sein Spiel und sagte zum Publikum, dies sei sein letztes Gastspiel in den USA. Zimerman begründete diese Entscheidung mit seiner Ablehnung gegen die US-Militärpolitik, insbesondere gegen den Stützpunkt in Guantanamo und die Pläne Washingtons, Teile des Raketenabwehrsystems in Polen zu stationieren. Der Musiker hatte nie zuvor sein Publikum angesprochen und sich Journalisten gegenüber immer wortkarg gegeben. Nach Zimermans Äußerung verließen mehrere Dutzend Zuhörer aus Protest gegen diese Aktion des Künstlers den Konzertsaal und machten dabei mißbilligende Bemerkungen. "Der Klang des Wortes ‚Militär' läßt manche Menschen marschieren", kommentierte der Musiker den Abzug eines Teils des Publikums und setzte das Konzert fort. Er spielte Karol Szymanowskis "Variationen über ein polnisches Volksthema" und erntete großen Beifall. Zimerman hatte bereits im Jahre 2006 geäußert, er besuche die USA nicht, solange dort George Bush an der Macht bleibe. Im selben Jahr kritisierte der Interpret während seines Gastspiels in Baltimore die US-Führung wegen des Guantanamo-Gefängnisses. Laut Musikkritikern ist die Entscheidung Zimermans auch auf persönliche Gründe zurückzuführen. Nach den Ereignissen vom 11. September in New York war Zimermans Flügel vom Zoll im Kennedy-Flughafen beschlagnahmt und später vernichtet worden.

Samstag, 18. Juli 2009

Эксцентрики - Exzentriker

Трюк - сильное выразительное средство, но он всегда должен органически вытекать из действия, обостряя его и помогая созданию комедийного образа.
Мимы, добиваясь яркости красок, смелости и оригинальности приёмов, прибегают иногда к эсцентрической форме построения пантомимы.
В.И Ленин, живая в Англии, любил, по свидетельству Горького, смотреть выступления эксцентриков. Алексей Максимович приводит высказывание Ленина об эксцентрике:
"Тут есть какое-то сатирическое или скептическое отношение к общепринятному, есть стремление вывернуть его наизнанку, немножко исказить, показать алогизм обычного. Замысловато, а интересно!"
Эксцентрики используют способность зрителей к образному восприятию.

Р.Славский - Искыссвто пантомимы, М. 1962, стр.124

Der Trick ist ein ausdrucksstarkes Mittel, aber er sollte sich immer organisch aus der Handlung ergeben, sie verschärfen, und in komischer Weise unterstützen.
Мimen, welche nach Vielfarbigkeit, Ausdrucksstärke und Originalität ihrer Bilder streben, greifen manchmal zu exzentrischen Formen und Spielmitteln der Pantomime.
Lenin liebte es - nach Aussage Gorkis -, während er in England lebte, sich die Vorstellungen von Exzentrikern anzusehen. Alexej Maximowitsch zitiert einen Ausspruch Lenins über die Exzentriker:
"Hier gibt es so eine satirische oder skeptische Beziehung zum Allgemeingültigen. Es ist das Streben, es auf Unbekanntes hinzuführen, ein bißchen zu verzerren und die vorhandene Unlogik aufzuzeigen. Das ist kompliziert, aber es ist interessant!"
Die Exzentriker verwenden die Fähigkeit der Zuschauer zur bildlichen Wahrnehmung.

R.Slawski - Die Kunst der Pantomime, Moskau, S. 124, russ.

Mittwoch, 15. Juli 2009

Горкий - Человек (1904)

Но если Человек отравлен ядом Лжи неизлечимо и грустно верит, что на земле нет счастья выше полноты желудка и души, нет наслаждений выше сытости, покоя и мелких жизненных удобств, тогда в плену ликующего чувства печально опускает крылья Мысль и - дремлет, оставляя Человека во власти его сердца.

И, облаку заразному подобна, гнилая Пошлость, подлой Скуки дочь, со всех сторон ползет на Человека, окутывая едкой серой пылью и мозг его, и сердце, и глаза.

Максим Горкий - Человек (1904)

Doch wenn der Mensch, unheilbar mit dem Gift der Lüge vergiftet ist, und traurig glaubt, daß es auf Erden kein höheres Glück gibt, als die Fülle des Magens und der Seele, und keine höheren Genüsse, als die Sattheit der Ruhe und der kleinen lebenswichtigen Bequemlichkeiten, dann senkt er in Gefangenschaft seines jubelnden Gefühls, traurig die Flügel seiner Gedanken und - schlummert, den Menschen in der Macht seines Herzens zurücklassend.

Und, wie eine ansteckende Wolke kriecht eine verfaulte Banalität, die Tochter der schuftigen Langeweile, von allen Seiten auf den Menschen, mit ätzendem grauen Staub sowohl sein Gehirn, als auch das Herz und das Auge einhüllend.


Maxim Gorki - Der Mensch (1904)

Burial of a clown














If the whole world would walk with the feet of a clown,
They'd be walkin' on sunshine, the whole world around.

Their feet would be lighter, than moon light you see,

For where ever they walk, silver prints you'd see.
They would go to places, they never have seen,
To meet all the shut-in's whom they would befriend.
Yes, the feet of a clown are very unique,
'Cause they take them to places, where few others seek.
If each one would walk with the feet of a clown,
All those with heartache would some day be found.

(Don "Homer" Burda) - he passed away September 11, 2008.

Donnerstag, 9. Juli 2009

Ein wirklicher Lehrer...

Ich glaube, zum wirklichen Lehrer muß man nicht nur ausgebildet, sondern auch geboren sein. Die Arbeit des Lehrers ist sehr schwierig und seine Verantwortung ist groß. Der Unterricht in dem entsprechenden Fach ist natürlich die Hauptarbeit, aber wir dürfen darüber nicht vergessen, daß sich die Schüler mit dem Lehrer identifizieren. Das ist der Grund, warum die Weltanschauung des Lehrers, sein Verhalten, sein Leben, die Art und Weise, wie er an jede Erscheinung herangeht, alle Schüler in jedem Falle beeinflussen. Das wird häufig gar nicht wahrgenommen. Aber damit nicht genug. Man kann ohne weiteres sagen, daß ein Lehrer mit großer Autorität bei manchen Menschen für das ganze Leben Spuren seines Wirkens hinterläßt.

Deshalb ist es so wichtig, daß der Lehrer sich selbst beobachtet, daß er sich bewußt ist, daß sein Verhalten und sein Tun ständig geprüft werden. In einem solchen Maße, wie das bei keinem anderen Menschen der Fall ist. Dutzende von Kinderaugen blicken auf ihn, und wahrlich, es gibt nichts Aufmerksameres, Wachsameres, Empfänglicheres als Kinderaugen; niemand achtet so sehr auf die verschiedenen Nuancen der menschlichen Psyche, niemand nimmt alle Feinheiten in einem solchen Maße wahr. Das darf man nicht vergessen. (Michail Kalinin, 1938)

Foto: Die Lehrerin Olga A. mit ihren Schülerinnen

Eine Wissenschaft des Spaßes...

In den letzten Monaten seines Lebens - inmitten der Arbeit an der Dialektik auf dem Theater - verblüffte uns Brecht mit der Erklärung, der Schlüssel zu seinen Arbeiten sei Naivität. Das ganze Unternehmen seines Theaters sei naiv. Es erzähle mit einer Aufführung zunächst nichts weiter als eine bemerkenswerte Geschichte, eben die FABEL. Und er versuche - bei jeder neuen Inszenierung gleichsam von Null anfangend - Spielweise, Bühnenbau, überhaupt die ganze Ästhetik eben für diese bestimmte Fabel zu finden. Gehen die meisten Theater von der Philosophie, von Stil, von Aussagen aus - was eben unnaiv ist -, springe das bei uns sozusagen mit ab, wenn wir zum Vergnügen unserer Zuschauer unsere bemerkenswerte Geschichte erzählen. Auch wie wir die Geschichte erzählen, sei naiv. Wir versuchten nicht, durch unglaubliche Raffinesse dem Publikum zu suggerieren, es wohne den Ereignissen selbst bei, so daß es über der Erzählung den Erzähler vergesse. Wie ein Witzerzähler, der sich selbst kräftig bemerkbar macht, gingen wir mit dem Publikum die naive Abmachung ein, daß wir es sind, die eine bestimmte Geschichte einstudiert haben, die wir nun vortragen, ohne dabei mit unserer eigenen Meinung hinter dem Berg zu halten. Wenn es den Vortrag unterstützen sollte, werden wir ihn sogar unterbrechen, um - wie ein guter Erzähler - etwas zu erklären...

Wahrscheinlich habe er bei der wissenschaftlichen Beschreibung seiner Arbeitsweise - einer Wissenschaft des Spaßes - zu viel Spaß an der Wissenschaft gehabt. Es sie nunmehr an der Zeit, den Spaß selbst zu beschreiben.

Manfred Wekwerth, Notate - Über die Arbeit des Berliner Ensembles 1956 bis 1966, edition suhrkamp 1967, S. 15f.