Montag, 9. August 2010

Die große Tänzerin und Pädagogin Palucca

In einem interessanten Beitrag schreibt Edith Krull über die Tänzerin Palucca folgendes:

Das erste, was sie genau wußte, als sie vor mehr als fünfzig Jahren zu tanzen begann, war: Ich will nicht hübsch und niedlich tanzen. Für ein ganz junges Mädchen jener Epoche vor dem ersten Weltkrieg war das eine große und selbständige Erkenntnis, denn der Tanz hatte nach den Regeln des damals herrschenden bürgerlichen Geschmacks unbedingt hübsch und niedlich zu sein und weiter nichts.

Die ersten Tanzschritte

So fing die junge Palucca – sie heißt wirklich so, der klingende Name ist kein Künstlerpseudonym ihre Tanzausbildung, zu der sie sich leidenschaftlich hingezogen fühlte, eigentlich schon im Widerspruch zur Kunstauffassung ihrer Zeit an, obwohl sie sich dessen damals natürlich noch nicht bewußt war. Der Lehrer, bei dem sie Ballettunterricht nahm – es gab damals noch keine staatlichen Ausbildungsstätten, und die einzige Tanzform, die gelehrt wurde, war die des Balletts hielt sie denn auch für ziemlich unbegabt. Sie hingegen wurde gequält vom Mißklang zwischen dem, was ihr als Ideal von Tanz vorschwebte, und dem, was als Tanz gelehrt wurde. So begann sie selbst an ihrem Talent zu zweifeln. Doch als sie, kaum achtzehnjährig, der Tänzerin Mary Wigman begegnete, erkannte Palucca, worauf es in ihrer Kunst ankam. "Es ist sehr schwer, der heutigen Generation klarzumachen, was für uns damals Mary Wigmans erstes Auftreten bedeutete", schrieb Palucca später. "Es war so etwas unerhört Neues, etwas so Elementares, daß mir sofort klar wurde: Entweder kann ich bei ihr tanzen, oder ich lerne es nie." Mary Wigman hatte, gemeinsam mit Rudolf von Laban, damals die Form des Neuen Künstlerischen Tanzes geschaffen, die entstanden war aus Protest gegen die überalterte Ausdrucksweise des in jener Zeit ganz im Formalen, Virtuosen und Mechanischen befangenen klassischen Balletts. Die Sprache des Neuen Künstlerischen Tanzes hingegen war Ausdruck persönlichen menschlichen Empfindens in der Form freier künstlerischer Gestaltung, die nicht an die vorgeschriebenen Schritte des Balletts gebunden, sondern die schöpferische Leistung des Tänzers selbst war. Anfangs mit Befremden und Ablehnung aufgenommen, begann diese Tanzform sich dank Mary Wigmans künstlerischer Kraft gerade damals durchzusetzen, und Palucca wurde eine der ersten Wigman-Schülerinnen. Bald zeigte sich, daß sie auch eine der be­gabtesten und schöpferischsten war, und wenige Jahre darauf gehörte Pa­lucca zu den ersten Tänzerinnen Deutschlands.

Der neue künstlerische Tanz


Ein Kennzeichen des Neuen Künstlerischen Tanzes ist, daß seine Schöpfun­gen an die Person gebunden bleiben, die sie hervorbrachte. Wie man einem Komponisten nichts "nachkomponieren", einem Schriftsteller nichts "nach­schreiben" kann, will man nicht nur billige Kopien liefern, so kann man auch einem Interpreten des Neuen Künstlerischen Tanzes nichts "nachtanzen", höchstens zur eigenen Übung und Vervollkommnung. Deshalb ist es heute kaum noch möglich, ein Bild davon zu geben, wie die Tänze Paluccas aus­sahen; es ist leider auch nur wenig davon im Film festgehalten worden. Einige Kritiker versuchten damals, ihre Tänze zu beschreiben, etwa so: "Die­ser jugendfrische kleine Kraftmensch mit dem kecken Gassenjungenprofil ist eine Kämpfernatur, scheint mit dem Raum wie mit einem unsichtbaren Feinde zu ringen, marschiert mit festem, sicherem Paradeschritt zum Angriff vor, umkreist in wilden Sprüngen den Gegner, entzieht sich seinen Gegenstößen durch überraschende Schwenkungen und Wendungen, stampft, fliegt über die Bühne, fährt in kreiselnden Wirbelstürmen durch die Luft und trium­phiert schließlich über das besiegte Chaos des Raumes, das durch Schritte, Sprünge und Schwünge zum harmonisch geordneten Kosmos gebildet wurde." Ihre starke Wirkung auf die Zuschauer umschrieb man mit den Worten: "Wenn man sie sieht, sagt man nicht: Wie herrlich ist die Palucca, sondern: Wie herrlich ist das Leben." Oder: "Keine andere Tänzerin hat so sehr die Gabe und Gnade des Frohmachens nur aus der Bewegung heraus, wie diese hier."


Das tänzerische Geheimnis der Palucca


Um das Jahr 1930 war Palucca die berühmteste und beliebteste deutsche Tänzerin geworden und erregte auch im Ausland überall, wohin sie kam, Stürme der Begeisterung. Wenn Palucca sich in diesen ersten zehn Jahren ihres künstlerischen Schaffens an die Spitze der deutschen Tanzkunst stellen konnte, so hatte sie das nicht allein ihrer staunenswerten, vielbewunderten Technik und Körperbeherrschung zu danken, an deren Vervollkommnung sie mit eiserner Energie und leidenschaftlichem Fleiß arbeitete ihre Sprünge waren damals beinahe weltberühmt. Es kam eine außerordentliche Musikali­tät hinzu, die sie befähigte, die gewählten Musiken bis ins letzte auszudeuten, vor allem aber ihre schöpferische Begabung, mit der sie ihre Tänze aus tiefem menschlichem Erleben heraus gestaltete. Diese Tänze hießen etwa "Im weiten Schwung", "Plötzlicher Ausbruch", "Stilles Lied", "Fernes Schwingen"; sie waren gleichsam Ausdrucksbilder seelischer Vorgänge, die sich bei ihren Zuschauern wiederum in ein starkes menschliches Erlebnis umsetzten. Palucca stand auf der Höhe ihres Schaffens, als der Faschismus über Deutsch­land kam. Wie viele andere fortschrittliche Künstler wurde auch sie schika­niert und diffamiert, schließlich verbot man ihr das öffentliche Auftreten und schloß ihre 1925 gegründete Dresdner Schule, in der sie, pädagogisch ebenso begabt wie künstlerisch, eine ganze Schar junger Tänzer ausgebildet hatte. Jahrelang arbeitete sie allein für sich in ihrem Dresdner Heim, bis diese ihre letzte Zuflucht bei dem großen Luftangriff 1945 mit allen Noten, Büchern, Bildern und unersetzlichem Fachmaterial zerstört wurde. Sie selbst konnte sich nur mit knapper Not aus einem brennenden Keller retten. Sofort nach der Befreiung jedoch begann Palucca mit ungebrochener Kraft wieder zu arbeiten; sie stellte sich für den Neuaufbau des Dresdner Kultur­lebens zur Verfügung.


Bereits am 1. Juli 1945 eröffnete sie ihre Schule und trat kurz darauf auch mit einem Programm neuer Tänze an die Öffentlich­keit, in denen sie Ernst und Heiterkeit, Lebensfreude und Erinnerungen an die dunklen Zeiten, Erfahrungen der Vergangenheit und Freiheit des Neu­beginns miteinander verband. Noch einmal führte ihre schöpferische Energie sie auf einen künstlerischen Höhepunkt; dann zog sie sich um 1950 von der Bühne zurück.

Die berühmte Palucca-Schule

1949 war die Palucca-Schule in eine Staatliche Fachschule für künstlerischen Tanz umgewandelt worden; Palucca selbst unterrichtet dort heute noch und bestimmt weitgehend das künstlerische Gesicht des Instituts, ihr großes Fachwissen und ihre geniale tänzerische Begabung nun für die Ausbildung des Nachwuchses nutzbar machend. Sie hat, was nur wenigen Tänzerinnen be­schieden ist, ihre schöpferische Lebensleistung als Künstlerin organisch in eine ebenso bedeutende Leistung als Lehrende überleiten können. ( . . . )

Staatspräsident Wilhelm Pieck gratuliert

Mit hohen Anerkennungen und Auszeichnungen würdigte die Regierung der DDR das bedeutende Schaffen Paluccas. 1950 wurde sie zum Ordentlichen Mitglied der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin berufen, 1960 erhielt sie den Nationalpreis der DDR, und zu ihrem sechzig­sten Geburtstag 1962 wurde ihr der Professorentitel verliehen. In seiner Ansprache zur Eröffnung der Deutschen Akademie der Künste am 24. März 1950 begründete Staatspräsident Wilhelm Pieck die Berufung Pa­luccas mit folgenden Worten: "Mit Ihrem Namen, Frau Palucca, verbindet sich nicht nur in Deutschland der Begriff des Tanzes. Ihre starke künstlerische und menschliche Persönlichkeit gab Ihnen die Fähigkeit, neben der in der ganzen Welt gefeierten Solotänzerin die hervorragende Pädagogin zu wer­den, die dem deutschen Volke und auch dem Ausland viele große Tänzer und Tanzpädagogen gegeben hat. Seit 1945 sind Sie nach Jahren der Unter­drückung als Künstlerin und als Staatsbürgerin unermüdlich tätig gewesen, um das kulturelle und das staatliche Leben unseres Volkes zu entwickeln."

Quelle: Die Zaubertruhe, Verlag Neues Leben, Berlin 1966, S. 202ff.

Nach der Übernahme der DDR wurde auch das künstlerische Erbe der Palucca "übernommen". Und so ging man auf Hiddensee mit dem Sommerhaus von Gret Palucca um:

http://clownerlebnisse.blogspot.com/2009/03/gret-palucca-1902-1993-ihre-in-munchen.html

Siehe auch - http://www.arila-siegert.de/knz/palucca.htm#Festprogramm

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