Freitag, 23. April 2010

B r e c h t - Manifest

Die große Wahrheit unseres Zeitalters (mit deren Erkenntnis noch nicht gedient ist, ohne deren Erkenntnis aber keine andere Wahrheit von Belang gefunden werden kann) ist es, daß unser Erdteil in Barbarei versinkt, weil die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln mit Gewalt festgehalten werden. [...] wir können die Wahrheit über barbarische Zustände nicht erforschen, ohne an die zu denken, welche darunter leiden, und [...] ihnen die Wahrheit so zu reichen, daß sie eine Waffe in ihren Händen sein kann. (GA 22.1, 88f)

Riesige Krisen, in zyklischer Wiederkehr, gleichend enormen
Sichtlos tappenden Händen, greifen und drosseln den Handel,
Schüttelnd in schweigender Wut Produktionsstätte, Märkte und Heime.
Hunger von alters plagte die Welt, wenn die Kornkammer leer war,
Jetzt aber, keiner versteht es, hungern wir, wenn sie zu voll ist.
Nichts in der Speise mehr finden die Mütter, die Mäulchen zu füllen,

Und hinter Mauern, in turmhohen Speichern gehäuft, fault das Korn weg.
Irgendwo türmt sich in Ballen das Tuch, aber frierend durchzieht die
Lumpenverhüllte Familie die Wohnviertel ohne Bewohner.
Ach, der so rastlos gearbeitet, fluchend der Ausbeutung, findet
Heute schon keinen mehr, der ihn noch ausbeutet; rastlos durchquert er
Suchend nach Arbeit die Stadt. Der gigantische Bau der Gesellschaft
Teuer, mit so vieler Mühe errichtet, von vielen Geschlechtern,
Sinkt in barbarische Vorzeit zurück. Und es ist nicht der Mangel,
Der da die Schuld trägt, Überfluß ist’s, das Zuviel macht ihn wanken.

Nicht zum Wohnen bestimmt ist das Haus, das Tuch nicht zum Kleiden,
Noch ist das Brot nur zum Essen bestimmt; Gewinn soll es tragen.
Wenn das Erzeugnis jedoch nur gebraucht und nicht auch gekauft wird
Weil das Verdienst des Erzeugers zu klein ist – und macht man ihn größer
Lohnt es sich nicht mehr, das Zeug zu erzeugen – wozu dann noch Hände
Mieten? [...] nur: wo dann hin mit der Ware? Und also [...]
Alles ins Feuer geopfert, den Gott des Profits zu erweichen! [...]

Freilich ihr Gott des Profits ist mit Blindheit geschlagen. Die Opfer
Kann er nicht sehn. Er ist unwissend. Beratend die Gläubigen, murmelt
Unverständliches er. Das Gesetz der Wirtschaft enthüllt sich
Wie der Schwerkraft Gesetz, wenn über den Köpfen das Haus uns
Krachend zusammenfällt. In Panik zerhackt unsre Bourgeoisie so
Unübersehbare Haufen von Gütern und rast mit den Resten verzweifelt
Über die Erdkugel hin nach neuen, gewaltigern Märkten,
Gleichend dem Mann, der, die Pest fliehend, diese nur mitnimmt und so den
Zufluchtsort auch noch verpestet: in neuen gewaltigern Krisen
Kommt sie entgeistert zu sich. Den Millionen der Arbeiter aber,
Die sie befehligt als riesige Heere und planlos herumtreibt,
Jetzt in Schwitzbuden verpackt und dann aus den Schwitzbuden wieder
Barsch auf die eisigen Straßen wirft, dämmert die Wahrheit, sie raunen
Staunend sich’s zu, daß der Bourgeoiswelt Tage gezählt sind.
(GA 5, Das Manifest, 126-28)

Holzschnitt von Frans Masereel "Die Passion eines Menschen"

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