Montag, 12. Mai 2008

Für das Einfache, das schwer zu machen ist...

Es ist ein großes allseitiges Interesse dafür vorhanden, daß nichts direkt Neues gemacht wird. Dieses Interesse herrscht auf allen Gebieten und ist dasjenige der Leute, die sich bei den alten Dingen und Verläufen wohlfühlen. Es ist verständlich, daß bei jenen, die etwas Altes nicht mehr haben wollen, die Meinung vorherrscht, ihr schlimmster Anblick seien jene, die sich wohlfühlen.

Es ist einleuchtend, daß das Befremden, das wir gegenüber dem Verhalten unserer Mitmenschen fühlen und das uns auch gegenüber unserm eigenen Verhalten so oft befällt, wenn wir Kunst machen, diese Kunst beeinflußt. Es ist nicht nur die Haltung der Tretenden, sondern auch die der Getretenen, die uns befremdet. Die Schwangere, einem lebensfeindlichen gesellschaftlichen System ausgeliefert, das sie dennoch ehern ans Gebären hält, sehen wir kämpfen um das Recht, ihre Frucht der Vernichtung, nicht dem Leben zu übergeben. Den arbeitenden Menschen sehen wir jenen Machapparat füttern und vervollständigen, der ihn niederhält. Die Intelligenz sehen wir ihr Wissen und ihr Gewissen verkaufen. Uns selber, die Künstler, sehen wir die faulenden Wände von Schiffen übermalen, die schon untergehen. Was wäre natürlicher, als daß wir Mittel und Wege suchten, solches Befremden zu einem allgemeinen und überwältigenden zu machen? (Brecht, Schriften - Über Theater, Berlin, 1977, S.51,222)

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