Donnerstag, 20. Mai 2010

Royston M a l d o o m: Es ist der Rhytmus...

Die Arbeitsweise dieses bemerkenswerten Künstlers ist sehr ähnlich mit der meinen. Auch seine Ansichten stimmen oft sehr mit den meinen überein:

...wenn junge Leute sich mit mir in einem Raum versammeln, sei es in einem Gefängnis, einer Grundschule, einer weiterführenden Schule, seien es Straßenkinder in Äthiopien, Kinder in einem traumatisierten Bosnien, egal, wo – sobald sie den Raum betreten, haben sie das Potential zum Künstler, und sie werden gemeinsam mit mir großartiges Theater schaffen. Dieser Gedanke trägt mich auch durch schwierige Zeiten, denn als Künstler kann ich mich leidenschaftlich für diese Arbeit begeistern, die in einer Aufführung gipfeln wird, von deren Großartigkeit ich überzeugt bin, und die das enorme Potential der Kinder zeigen wird.

Und das ist meiner Ansicht nach wirklich wichtig, wenn man mit Kindern und Jugendlichen arbeitet. Sobald man den Raum betritt, wissen sie, ob sie einem vertrauen können oder nicht. Wenn sie einem vertrauen, ist es erstaunlich, wie diszipliniert und konzentriert man selbst sein kann und wie stark einem die jungen Menschen darin folgen. Fühlen sie aber nur einen Augenblick, daß man nicht an ihr Potential glaubt und so Teil derjenigen Welt wird, der sie so häufig ausgesetzt sind und die sie nicht anerkennt, sie nicht respektiert, kein Vertrauen in ihre Potentiale setzt, fallen sie sofort zurück auf ihre gewohnte Meinung von sich, die viele Kinder, aber auch viele unter uns von sich haben, nach der man ein Versager ist, jemand, dem nichts gelingt. Selbstverständlich hat jemand mit einer solchen Meinung von sich eine Lernblockade, die jede Bildung und Entwicklung unmöglich macht.

Beispielsweise arbeitete ich mit einer ganz außergewöhnlichen Grundschulklasse, die so konzentriert, so selbstbewußt – wie sagt man? – so selbstverständlich respektvoll ist, daß es sehr einfach ist, mit ihnen zu arbeiten. Man kann mit ihnen sprechen, mit der gesamten Gruppe oder im Dialog – und sie glauben an ihre Fähigkeiten. Wenn ich dann die Lehrer und Betreuer treffe, fällt mir auf, wie sehr sie an den Wert von Kultur und Kunst im Lehrplan glauben, und man erkennt deutlich ihre liebevolle Haltung den Kindern gegenüber und den starken Glauben an die Kleinen.

Allerdings gibt es auch Schulen, auf die genau das Gegenteil zutrifft. Die Kinder glauben nicht, daß in ihnen Potentiale schlummern und genau das spiegelt sich in der Haltung der Erwachsenen in ihrem Umfeld wider, die auch nicht glauben, daß es diese Potentiale gibt. Ich bin davon überzeugt, daß Kinder bereits in ihrer Entwicklung beschränkt werden, wenn sie von Erwachsenen umgeben sind, die derart denken. Immer wieder geschieht es daher, daß bei solchen Projekten Lehrer, Betreuer oder Eltern zu mir kommen und sagen: "Ich habe nicht geglaubt, daß mein Kind das kann. Ich hätte nie geglaubt, daß dieser Schüler das kann." Ich erwidere dann: "Und jetzt haben Sie ein Problem. Sie wissen nun, wo die eigentliche Ursache liegt."

Man muß einfach, sobald man den Klassenraum betritt, einen unerschütterlichen Glauben an das besondere Potential jedes einzelnen Menschen haben. Ist dieser Glaube nicht vorhanden, wird es nicht funktionieren, Sie werden die Barriere nicht durchbrechen können. Wenn Sie also Zweifel haben, ob jemand, mit dem Sie arbeiten, wirklich außergewöhnlich ist, wird diese Person es merken. Und Sie werden diesen Menschen in seinen Möglichkeiten beschränken, auf Grund Ihrer eigenen Beschränkung und Ihres eingeschränkten Glaubens an das Potential des anderen.

Wenn es einem Kind also nicht gelingt, sein Potential voll auszuschöpfen, ist es mein Fehler und nicht der Fehler des Kindes. Ich allein kann unmöglich bei jedem Kind das volle Potential zum Vorschein bringen, aber jemand anderem könnte dies gelingen. Wenigstens zeigt mir ein solches Ergebnis, daß die Verantwortung, alles aus dem Kind herauszuholen, bei mir und nicht dem Kind lag. Das muß nicht heißen, daß ich ein schlechter Lehrer bin, obwohl auch das möglich ist. Es bedeutet zunächst einmal, daß ich einfach nicht den richtigen Zugang zu diesem speziellen Kind gefunden habe. (...)










Es ist nicht die Aufgabe des Tanzes, andere Fächer zu unterstützen – Tanz ist eine Sprache, eine Art zu kommunizieren, eine Art, mit sich selbst, mit anderen und seiner Umgebung in Berührung zu kommen. Und er hat eine eigenständige Existenzberechtigung.
Ich erinnere mich an eine Geschichte, als ich vor einigen Jahren in London eine Schule betrat, um genau dies zu beweisen. Nachdem ich vier oder fünf Tage an dieser bestimmten Schule gearbeitet hatte, fehlte eines Tages einer der wichtigen Jungen in der Probe. Ich brauchte ihn wirklich. Daher fragte ich den Lehrer, wo dieser Junge sei, und er antwortete mir: "Ach ja, der Direktor hat ihm verboten, heute an der Probe teilzunehmen." Ihm war offensichtlich nicht klar, wem er diese Auskunft gab. Selbstverständlich ging ich direkt zum Büro des Direktors und sagte: "Was läuft hier?" Er erwiderte: "Es tut mir leid. Ich mußte ihm das Tanzen verbieten, weil er im Matheunterricht stört." Daraufhin sagte ich: "In Ordnung, aber ich hoffe, Sie verstehen, daß ich Schülern, die meinen Unterricht stören, verbieten werde, am Matheunterricht teilzunehmen."
Der Junge nahm sehr schnell wieder an den Proben teil.

Quelle: "Ich gebe Ihnen den Glauben an Ihren Wert" Royston M a l d o o m im Gespräch mit Gabriele M i c h e l, erschienen in Psychologie Heute compact 2007 Heft 16: "Schule verändern!"
Siehe: www.royston-maldoom.com

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