Samstag, 28. November 2009

Die Kunst der Kommunikation

"Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von Einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich, im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist." *
(Johann Wolfgang Goethe)

Recht hat er - der alte Goethe. Doch wenn es bei Kommunikation nur um "Wahrheit oder Irrtum" ginge, wäre das nicht weiter schlimm. Denn der Irrtum läßt sich im Laufe der Zeit, mit fortschreitender Erkenntnis korrigieren, wobei die Wahrheit allmählich zutage tritt. Irrtümer sind allenfalls auf Sinnestäuschungen oder auf Denkfehler zurückzuführen; ihre Korrektur erfolgt durch die Praxis und auf der Basis gesicherter Erkenntnisse. Schlimmer ist es dagegen mit der Lüge. Daß mit Lüge und Betrug heute recht einträgliche Geschäfte zu machen sind, lag wohl auch außerhalb der Vorstellung des Herrn Geheimrats.

In der zwischenmenschlichen Kommunikation muß man den Irrtum sehr deutlich von der Lüge unterscheiden. Eine Lüge besteht darin, daß jemand eine Aussage als "wahr" behauptet, von der er aber überzeugt ist, daß diese Aussage falsch ist. Da aber der Lügner
unter allen Umständen vermeiden will, daß die Wahrheit ans Licht kommt, wird es mit zunehmender Weiterverbreitung der Information immer schwieriger, Wahres von Falschem zu unterscheiden. Zumal sich die Lüge nicht als solche zu erkennen gibt. Darin liegt auch das Dilemma der Kommunikation.

Ständig empfängt der Mensch
neue Informationen. Er ist somit bei der Fülle seiner Wahrnehmungen ständig gezwungen, diejenigen auszuwählen, die seinen Bedürfnissen und Interessen am ehesten entsprechen und die er auch imstande ist, zu verarbeiten. So hat man beispielsweise festgestellt, daß eine Wochentagsausgabe der New York Times mehr Informationen enthält, als einem gewöhnlichen Engländer des 17. Jahrhundert in seinem ganzen Leben zur Verfügung standen. Doch was davon ist nun wichtig und was ist unwichtig? - und schließlich: Was ist wahr, und was ist falsch? Um auf diese Fragen eine einigermaßen klare Antwort geben zu können, ist es erforderlich, die theoretischen Grundlagen zu betrachten.

Was ist eigentlich Kommunikation?

Zunächst ist Kommunikation - allgemein gesagt - der durch den Austausch von Informationen vermittelte Zusammenhang zwischen dynamischen Systemen. Dieser Austausch funktioniert nur dann, wenn es einen gemeinsamen Zeichenvorrat gibt, über den sich der Sender (S1) und der Empfänger (S2) miteinander verständigen.

Die zwischenmenschliche Kommunikation ist eine spezifische Form dieses Informationsaustauschs, die sich notwendigerweise daraus ergibt, daß die Menschen viele Dinge nicht allein bewerkstelligen können, d.h. sie ergibt sich zwangsläufig aus der gemeinsamen Produktion, aus dem Zusammenwirken der Menschen. Die Kommunikation hat also einen ganz praktischen Grund.

Im Verlaufe des Informationsprozesses gewinnt nun der Empfänger der Information (S2) eine Erkenntnis, die er in der Praxis auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen kann, und welche ihn zu einer bestimmten Reaktion, zu einem bestimmten Verhalten veranlaßt. Dabei gilt es festzustellen, ob und inwieweit die gesammelten, gespeicherten und verallgemeinerten Informationen mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmen oder nicht. Denn natürlich schließt das durch viele einzelne Informationen beim Empfänger entstandene Abbild der Wirklichkeit stets auch Irrtümer und falsche Denkweisen mit ein. Doch nur die richtige, eine adäquate Widerspiegelung der objektiven Realität, und erst die Kenntnis der Gesetze der Natur und der Gesellschaft ermöglichen dem Menschen ein sinnvolles, zielgerichtetes und erfolgreiches Handeln. Hat der Mensch seine Lage einmal erkannt, wie soll er aufzuhalten sein...

Worin besteht nun die Kunst der zwischenmenschlichen Kommunikation?

Die Kunst der Kommunikation besteht genau darin, die richtigen Informationen auszuwählen und sie so zu vermitteln, daß auf der Grundlage einer gemeinsamen Sprache (eines "gemeinsamen Zeichenvorrates") eine Informations-übertragung, und beim Empfänger (S2) ein Erkenntnisgewinn möglich sind. Das setzt freilich auch eine gewisse Lernbereitschaft und die aktive Mitwirkung des Empfängers voraus. Die entscheidende Rolle spielt dabei jedoch die Persönlichkeit des Senders (S1). Nicht nur seine Überzeugungskraft, sein rhetorisches Talent und seine Begeisterung sind hier von besonderem Gewicht, sondern auch seine Integrität, seine Aufrichtigkeit und seine moralische Grundüberzeugung. Nicht immer ist das leicht zu erkennen, denn es geht dabei nicht nur um die Vermittlung von Bildung und Wissen, sondern vor allem um den Einfluß auf Entscheidungen und somit auf das Handeln der Informationsempfänger. Wozu läßt sich das Publikum bewegen - sind es eigene Wünsche, Träume oder Ziele, die geweckt werden, oder ist es gar die Angst von drohenden Nachteilen? Auch der Einfluß von Kunst und Literatur, sowie die Einwirkung der Massenmedien ist nicht zu unterschätzen! Sie beeinflussen die Gefühlswelt, und sie können sich motivierend und mobilisierend auf das Bewußtsein auswirken. Je besser es gelingt, Gemeinsamkeiten von Sender und Empfänger zu entdecken, zu thematisieren, zu erweitern, und sie bestenfalls um einige neue Erkenntnisse zu bereichern, desto größer ist der Grad der Beeinflußung. Wer Informationen übermittelt, hat freilich auch die Möglichkeit, Meinungen zu manipulieren. Das darf man nicht vergessen! So setzt der Mensch sich erfolgreich mit seiner Umwelt auseinander, indem er die Voraussetzungen, seine eigenen Möglichkeiten, den voraussichtlichen Ablauf und die Konsequenzen seines Tuns überprüft, durchdenkt und schließlich danach handelt. Gedankenloses oder nicht genügend durchdachtes Handeln bringt Mißerfolge mit sich. Dabei lernt er schließlich, Wahres von Falschem zu unterscheiden: In der Praxis zeigt sich, was am Ende richtig war.

Und wie ist das mit der Wahrheit?

Wie schon Goethe richtig feststellte, muß man "das Wahre immer wiederholen". Hier hat die Wiederholung einen erzieherischen Zweck: Auch wenn die Tatsachen noch so verfälscht werden, wenn Manipulationen und Täuschungen mitunter nahezu erdrückende Ausmaße anzunehmen scheinen, wird sich die Wahrheit im Laufe der Zeit allmählich durchsetzen. Und es ist - nebenbei bemerkt - schon eine etwas seltsame Moralvorstellung, wenn beispielsweise die Verbreitung von Falschaussagen zum Zwecke des Machterhalts oder die Fälschung von Werbeaussagen zum Zwecke der Umsatzsteigerung in der bürgerlichen Öffentlichkeit als Kavalierdelikt behandelt werden, um recht schnell wieder in Vergessenheit zu geraten, so daß ein Unrechtsbewußtsein über die wissentliche Irreführung gar nicht erst aufkommt. Von einer potentiellen Übereinstimmung der objektiven Realitäten mit der proklamierten öffentlichen Meinung kann also vorerst keineswegs die Rede sein. Die jeweiligen Meinungen sind allenfalls eine billige Massenware - eben gebraucht und schon verschlissen.

Schließlich ist es eine philosophische Frage, ob es in den menschlichen Vorstellungen einen Inhalt geben kann, der vom Subjekt unabhängig ist, der also weder vom Menschen noch von der Menschheit abhängt, und wenn ja, ob es in der menschlichen Vorstellung möglich ist, diese objektive Wahrheit auf einmal, vollständig, unbedingt, absolut, oder eben nur annähernd, relativ auszudrücken.** Letzteres führt uns zu der Relativität jeglicher Erkenntnis - damit muß man rechnen. Wer jedoch die Objektivität des Erkenntnisprozesses bezweifelt, der gesellt sich ganz unbestritten auf die Seite jener Traumtänzer, denen eine Veränderung der Welt allein durch eine Änderung ihrer Gedanken möglich erscheint. Es ist klar, daß auch eine solche Denkweise ihre sozialen Wurzeln hat, und nur denen recht sein kann, die an einer Veränderung der bestehenden Verhältnisse im Grunde genommen nicht interessiert sind, da sie keinesfalls bereit sind, ihre eigene Behaglichkeit dafür aufzugeben...

(G.J.)

* J.P.Eckermann, Gespräche mit Goethe, Max Hesse's Verlag Leipzig, o.D. (1902), S.240.
** vgl. W.I.Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Berlin 1973, Werke Bd.14, S.116.

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