Kürzlich erschien in der Zeitung ein Artikel über den eskalierenden Konkurrenzkampf zweier konkurrierender Zirkusfamilien. Das ist ein bedauerlicher Vorfall, zumal es gerade in diesem Beruf auf Hilfe und Verläßlichkeit, auf Kameradschaft und artistische Fairness ankommt.
Soviel ich weiß, ist in den letzten Jahren nicht mehr viel über die gegenseitige Hilfe und kameradschaftliche Zusammenarbeit geschrieben worden, wie sie beispielsweise für den Sowjetischen Staatszirkus, charakteristisch waren. Ältere Artisten, die das noch miterlebt haben, können sehr wohl davon berichten. Da gab es zwar auch mal diesen oder jenen kleinen Streit, aber es gab einfach keine derartig eskalierenden Auseinandersetzungen, wie sie heute unter konkurrierenden Zirkusunternehmen üblich sind. Und dabei ist eine solche Entwicklung für heutige Verhältnisse ganz und gar zwangsläufig.
"Der Artist", so schreibt Mario Turra, "der bis dato – vergleichbar mit einem Familienhandwerksbetrieb – mit Frau und Kindern in einer klapprigen Marignotte durch die Lande zog, um als Seiltänzergesellschaft – vielleicht noch mit ein oder zwei von ihm ausgebeuteten Eleven – sein armseliges Leben zu fristen, wird nun durch durch freie Marktwirtschaft gezwungen, in größeren Gruppen aufzutreten. Er muß gegenüber dem Theater konkurrenzfähig werden, das bereits einige Zeit vorher denselben Schritt getan hatte. Der frühere Prinzipal wird zum Direktor, der sich mit der Zeit alle Eigenschaften eines kapitalistischen Industrie-Unternehmers aneignet.
Ohne diesem Zirkusdirektor nun alle künstlerischen Amitionen abstreiten zu wollen, ist dessen Ziel jedoch, möglichst viel zu verdienen, um seinen Zirkus konkurrenzfähig erhalten zu können, damit er sich und seine Familie gut ernähren und auch noch einen 'Notgroschen' fürs Alter zurücklegen kann. Er braucht also das gutsituierte Bürgertum, das ihm die Kassen füllt. Aber er weist auch den Pfennig des Proleten nicht zurück, denn 'Kleinvieh macht auch Mist'. Das weiß er noch aus der Zeit, in der er mit dem Teller sammeln ging." ¹
Die Gründe für diese gewalttätigen Auseinandersetzungen, die sich kürzlich in Regensburg ereigneten, sind also – und das sei hier zur Ehrenrettung dieses Berufs gesagt – keineswegs in der "Gewaltbereitschaft" der Artisten zu suchen. Sie liegen vielmehr in den sich verschlechternden Verwertungsbedingungen der artistischen Berufe. Soviel künstlerisches Geschick, und soviel Sensibilität auch erforderlich sein mögen – eine Zusammenarbeit im Sinne kameradschaftlicher Arbeitsbedingungen kann und wird es nur geben, wenn die Menschlichkeit über den privaten Egoismus siegt. Vorerst jedoch ist den Beteiligten zu raten, sich nicht gegenseitig zu bekriegen, sondern gemeinsam etwas gegen die Ursachen dieses Zustandes zu unternehmen, und – wie der Clown sagt:
EIN LÄCHELN HILFT (nicht) IMMER !
EIN LÄCHELN HILFT (nicht) IMMER !
¹ Mario Turra, Das Lachen des Clowns, Henschelverlag, Berlin, 1972, S.43