Mittwoch, 26. November 2008

Was sind Notate?

Notate enthalten flüchtige Beobachtungen während der Proben, Formulierungen der Fabel, Bezeichnungen der Drehpunkte der Fabel, gesehene Schönheiten im Spiel, Schwierigkeiten, die nicht sofort geklärt werden können, Kritiken, Kurzanalysen zur Selbstverständigung, Vorschläge an die Schauspieler, episierte Dialoge, Brückentexte, aber auch theoretische Fragemente, offene Fragen der Spielweise, Thesen usw. Kurz Notate sind Hilfsmittel, das Theater des wissenschaftlichen Zeitalters so zu betreiben, daß vor allem seine tägliche Praxis Teil jenes Vergnügens ist, das man gemeinhin Veränderung der Welt nennt.

Manfred W e k w e r t h - Notate, Über die Arbeit des Berliner Ensembles (1967)

(Das galt zu jener Zeit für die Theater in der DDR, insbesondere unter B r e c h t . Heute haben wir andere Verhältnisse. Doch auch hier empfiehlt es sich, gute Gedanken nicht entschwinden zu lassen...)

Lachen ist Balsam für die Seele

Humor ist die Fähigkeit, Absurdes oder Komisches in unserem Alltag zu entdecken. Er ist das hilfreichste Mittel, um Distanz zu zu gewinnen und die anstehenden Probleme aus einer gewissen Entfernung zu betrachten. Lachen entspannt. Es hat eine positive Auswirkung auf das emotionale Gleichgewicht. Humor macht es fast unmöglich, sich über etwas zu ärgern oder in tiefe Resignation zu verfallen. Schon ein Lächeln kann die eigene Gemütsverfassung verändern. Und das ist allemal erlernbar. (G.J.)

Gegenlied von der Freundlichkeit

Soll das heißen, daß wir uns bescheiden
Und "so ist es und so bleibt es" sagen sollen?
Und, die Becher sehend, lieber Dürste leiden
Nach den leeren greifen sollen, nicht den vollen?
Soll das heißen, daß wir draußen bleiben
Ungeladen in der Kälte sitzen müssen
Weil da große Herrn geruhn, uns vorzuschreiben
Was da zukommt uns an Leiden und Genüssen?
Besser scheint's uns doch, aufzubegehren
Und auf keine kleinste Freude zu verzichten
Und die Leidensstifter kräftig abzuwehren
Und die Welt uns endlich häuslich einzurichten!

Bertolt B r e c h t: Gegenlied von derFreundlichkeit

Foto: privates Wohnhaus des aserbaidshanischen Kriegsministers

Lizedej - Blue Canary



Ein sehr altes Video - Lizedej (Leningrad) - etwa von 1980...
Supersehenswert!

Sonntag, 23. November 2008

Über Pantomime

Spezifische Möglichkeiten der Pantomime

Was kann die Pantomime besser als alle anderen Formen der Darstellenden Kunst?
1) Die Konzentration auf den Menschen in seiner existentiellen und doch klassengebundenen Individuation evozieren
2) Die Komprimierung des Bedeutsamen
3) Die doppelte Kunst der Beobachtung durch den Pantomimen und den Zuschauer
4) Den Sinn für das Wesentliche der menschlichen Fähigkeit zum Mimischen fördern

Ernst Schumacher

Epigramm

In seinem Sessel, behaglich dumm,
Sitzt schweigend das deutsche Publikum.
Braust ein Sturm herüber, hinüber,
Wölkt sich der Himmel düster und trüber,
Zischen die Blitze schlängelnd hin,
Das rührt es nicht in seinem Sinn.
Doch wenn sich die Sonne hervorbeweget,
Die Lüfte säuseln, der Sturm sich leget,

Dann hebt's sich und macht ein Geschrei
Und schreibt ein Buch: Der Lärm sei vorbei.
Fängt an darüber zu phantasieren,
Will dem Ding auf den Grundstoff spüren,
Glaubt, das sei doch nicht die rechte Art,
Der Himmel spaße auch ganz apart,
Müssen das All systematischer treiben,
Erst an dem Kopf, dann an den Füßen reiben,
Gebärd't sich nun gar wie ein Kind,
Sucht nach Dingen, die vermodert sind,
Hätt' indessen die Gegenwart sollen erfassen
Und Erd' und Himmel laufen lassen.
Gingen ja doch ihren gewöhnlichen Gang,
Und die Welle braust ruhig den Fels entlang.

(Karl Marx)

Dienstag, 18. November 2008

"Прощание" - Слава Полунин



"Прощание" - "Abschied" (Slawa Polunin).
Слава Полунин наверное лучший клоун мира. Мы с ним дружились уже в марте 1985 в Ленинградe. В то время он был руководителем известного театра пантомимы "Линцедей"...

Freitag, 14. November 2008

Tucholsky : "Dämmerung"

Diese Zeit hat etwas durchaus Gespensterhaftes. Die Leute gehen täglich ihren Geschäften nach, machen Verordnungen und durchbrechen sie, halten Feste ab und tanzen, heiraten und lesen Bücher-: aber es ist alles nicht wahr.

Was man so gemeinhin Kunst und Kultur nennt: sie sind nicht möglich ohne gemeinsame Vorausetzungen. Die sind nicht mehr da. Die Grundfesten wanken. (...) Es ist durchaus nicht allen gemeinsam und selbstverständlich, daß das Vaterland das Höchste ist, woran sich anzuschließen Pflicht und Gewinn sei - sondern das ist sehr bestritten. Es ist durchaus nicht allen gemeinsam, daß die Familie der Endpunkt der Entwicklung und etwas Selbstverständliches sei - das ist sehr bestritten. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, daß der Kapitalismus notwendig oder gar nutzbringend sei - das ist sehr bestritten. Sie reden verschiedene Sprachen, die babylonischen Menschen, und sie verstehen einander nicht. Sie sprechen aneinander vorbei, sie haben weniger gemeinsam denn je.

Seltsam dieses Bürgertum. (Und in Deutschland sind alle Bürger.) Seltsam dieses starre Festhalten an Formen die leer sind, an Dingen, die es eigentlich nicht mehr gibt. Vorbei, vorbei - fühlt ihr das nicht?

(...) Töricht, die Zerfallsymptome zu leugnen. Eine Welt wankt, und ihr haltet an den alten Vorstellungen fest und wollt euch einreden, sie seien nötig und natürlich wie die Sonne. (...)

Spaßmacher besingen die neue und die alte Zeit; in bürgerlichen Zeitschriften untersucht einer ganz ernsthaft, ob die Exposition in dem neuen Roman des Schriftstellers W. ganz geglückt sei; Theater spielen in viele Akte zerdehnte Aphorismen, die wir ohnehin gewußt haben, Schemen wanken auf der Erde daher - und es ist alles nicht wahr. Der Sinn des Lebens ist in Frage gestellt, und ich glaube fest daran, daß diese grauenvolle Krankheit auch kräftigere Länder anfressen wird als dieses arme Deutschland. (...)

Das bürgerliche Zeitalter ist dahin. Was jetzt kommt, weiß niemand. Manche ahnen es dumpf und werden verlacht. Die Massen ahnen es dumpf, können es nicht ausdrücken und werden - noch - unterjocht. (...)

Eine Welle flutet über die Erde. Sie ist nicht rein ökonomischer Natur, es geht nicht nur ums Fressen und Saufen und Verdienen. Es handelt sich nicht nur um die Frage, wie man die wirtschaftlichen Güter der Welt verteilen wird, wer arbeiten und wer ausnutzen soll. Es geht um mehr, um alles. (...) Wohin treiben wir? Wir lenken schon lange nicht mehr, führen nicht, bestimmen nicht. Ein Lügner, wer's glaubt. Schemen und Gespenster wanken um uns herum - taste sie nicht an: sie geben nach, zerfallen, sinken um. Es dämmert, und wir wissen nicht, was das ist: eine Abenddämmerung oder eine Morgendämmerung.

Kurt Tucholsky (1920)


...und weil das so ist, deshalb brauchen wir heute mehr Psycho-Therapeuten. Und vor allem brauchen wir noch mehr echte Vorbilder, wie Herrn Abbermann, Herrn Hratz, Herrn Schrumpp oder Herrn Zumnickel. Das Leben ist schön. Es könnte schöner sein!
Foto (1) - Manhattan, Foto (2) - Pripjat, radioaktiv verseucht.