Donnerstag, 3. November 2016

Oleg Popow - der sonnige Clown..

 (1930 - 2016)                  

Er war ein talentierter Clown, ein durchaus liebenswerter Clown...

Sein Debüt

Oleg Popow begann seine Kindheit als Clown mit Weltruhm. Er hatte seinen »glücklichen Zufall«, den er nicht versäumte. Absolviert hatte er die Staatliche Schule für Zirkuskunst als Schlappseiläquilibrist, Seine leicht exzentrische Nummer verschaffte ihm die Sympathien der Zuschauer. Früher oder später wäre es sowieso passiert, jedoch er kam rascher und unerwarteter, als er vermuten konnte, als Clown in die Arena. Der Pausenclown war erkrankt, und Oleg Popow wurde gebeten, ihn einige Tage zu vertreten. Er sagte zu, und obwohl sein Debüt noch mangelhaft und unvorbereitet war, zeigte sich am selben Abend, daß das Publikum gerade eine solche komische Gestalt akzeptierte, daß er Clown sein konnte. 

Weltruhm

Die sowjetischen Zuschauer hatten Oleg Popow kaum richtig kennengelernt, und als Clown hatte er nicht einmal richtig ihre Liebe erringen und sich einen Namen machen können, da faßte die Zirkusverwaltung bereits den Beschluß, ihn zum ersten Auslandsgastspiel des sowjetischen Zirkus 1956 mitzunehmen. Daß er noch keine Erfahrungen mit politischen, satirischen und aktuellen Reprisen hinter sich hatte, half ihm nur. Oleg Popow trat in Belgien, Frankreich und England auf und hatte Erfolg. Man nannte ihn den »sonnigen Clown«. Danach lernten ihn die Moskauer bereits als Clown kennen, den man in den besten europäischen Zirkussen akzeptiert hatte. Er wurde augenblicklich berühmt. Oleg Popow lächelte vom Bildschirm und von der Leinwand, von den Umschlägen illustrierter Zeitungen, von Plakaten, Ansichtskarten und Ladentischen in Spielzeuggeschäften. Es schien, als sei der Ruhm zu ihm genauso leicht gekommen, wie er selber so leicht auf dem Schlappseil spazierenging und mit dem Spazierstöckchen herumfuchtelte. In einem Film zeigte man ihn auch so: Beim Spaziergang auf dem Seil mit London, Paris, Brüssel und New York als Hintergrund. 

Eine gemeinsame Sprache

Eigentlich waren es nicht irgendwelche umwerfenden Gags oder seine Reprisen, die die Zuschauer verblüfften. Eindruck machte Popows Erscheinung. Er widerlegte die bislang herrschende Meinung, Russen seien ungesellig und gehemmt. Die Natürlichkeit seines Verhaltens und seine Freundlichkeit lösten auch bei den Zuschauern Herzlichkeit aus. Er war bereit, mit jedem Publikum eine gemeinsame Sprache zu finden. Er lächelte offen und aufrichtig, und dieses Lächeln gefiel sofort.

Die Kunst des Clowns

Natürlich war in den Ereignissen der Kunst nicht alles so elementar, geradlinig und ohne Ausnahmen, wie man das in zwei, drei Sätzen sagen kann. Der Wechsel der Ästhetikformen ist ein komplizierter Prozeß, der es an sich schon wert wäre, eingehend untersucht zu werden. Aber für uns ist es wichtig zu verstehen, daß Karandaschs langer Erfolg nicht nur mit den großen Möglichkeiten seiner Figur zusammenhing, sondern auch mit objektiven Ursachen und Zeitereignissen, die nicht von ihm abhängig waren. Bei Oleg Popow war es umgekehrt.

Zeitgeist

Aus Gründen, die nicht von ihm abhingen, änderte sich die Zeit derart zügig und schnell, daß seine Figur nur sechs, sieben Jahre in die Zeit paßte. Um weiter den ersten Platz zu behaupten, hätte sie einen neuen Inhalt bekommen müssen, hätten ihr neue Züge hinzugefügt werden müssen. Das aber wußte Oleg Popow nicht. Der Charme seines sonnigen Lächelns löste sich allmählich auf in Estradensujets und Feuilletonreprisen, die der Figur nicht die erforderliche Nahrung boten, um nach wie vor Ausdruck von Popows Geist, Charakter und Wesen sein zu können. Aber kann man das Qleg Popow eigentlich zum Vorwurf machen? Bei Künstlern ist das lächerlich.

Der Beifall des Publikums

Die Zuschauer sind ungeduldig. Besonders die im Zirkus. Ihnen geht es um das Endergebnis und nicht darum, wie es dazu kommt. In schöpferischer Arbeit aber steckt ja auch noch zugespitzte Eigenliebe. Es gibt wohl kaum einen Clown, noch dazu einen so begabten wie Popow, der nicht bis zum letzten Tag in der Manege immer wieder Beifall hören möchte. Er glaubt an seine Erscheinung, an sein »Ich«. Mehr als jeder andere. Aber irgend etwas kann er einfach nicht verstehen oder ausführen. Sei es auch, weil er nicht die Veranlagungen dazu hat ... Wie kann man überhaupt einem Clown, der sich so selbstlos in der Arena »produziert«, um uns Freude zu bereiten, Vorwürfe machen?

Was bleibt?

Tragikomische Züge fehlten Oleg Popow, und gerade sie hätten seiner Figur geholfen, erwachsen zu werden und zu reifen.... Oleg Popow aber war vor gar nicht allzu langer Zeit erst wieder von einer weiteren Buropatournee zurückgekehrt, hatte dort einen herzlichen Empfang erfahren und den Erasmus-von-Rotterdam-Ehrenpreis bekommen (den Chaplin als erster erhalten hatte). Die Jahre des Suchens waren für den Meister nicht umsonst vergangen, und wahrscheinlich hatte er inzwischen begriffen, was er sich früher nicht einmal eingestehen wollte. Jetzt lagen in seinem Lächeln Weisheit und Verständnis. Wir aber – können wir etwa den jungen blauäugigen Clown vergessen, wie er über das Seil spaziert, mit seinem Spazierstöckchen hin und her fuchtelt, mit Töpfen, Kartoffeln und Gabeln jongliert? Es waren Eindrücke, die wir wie Jugenderinnerungen für immer behalten. 

Quelle: Natalja Rumjanzewa: Clown und Zeit. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin, 1989, S.50-69 (Auszüge) 

NB. Schon 1956 verließ Popow sein Heimatland, daß er dort starb will nichts besagen. Doch was war dafür der Grund? In einem Interview äußerte er einmal, er wolle von seinem Beruf auch „anständig leben können. Konnte er das damals nicht? Nunja, ihm ging es nicht besser und nicht schlechter als Millionen anderer seiner Landsleute auch, in diesem vom Krieg der Nazis verwüsteten Land. Sie mußten nicht hungern. Doch das Land mußte erst wieder aufgebaut werden. Und es wurde aufgebaut. Und Popow? Er hat den bequemeren Weg gewählt.